Vorwort.

Eine vollständige und authentische Ausgabe von Mozarts Briefen bedarf wohl keiner besonderen Rechtfertigung. Denn wenn auch der wesentliche Inhalt dieser Briefe bereits durch die Biographien von Nissen, Jahn und mir nach den Originalien bekannt geworden ist, so sind dieselben doch in allen drei Werken, so wie es deren Zweck mit sich brachte, theils sehr unvollständig theils völlig auseinandergerissen mitgetheilt und so der eigentliche Reiz von Briefen überhaupt, nämlich die gemüthliche Stimmung des jedesmaligen Schreibens, gänzlich zerstört worden. Diesen Reiz, der auch für den mit Mozarts Leben Vertrauten ein so neuer ist, daß ihm oft selbst das Bekannteste eine frische Würze gewinnt, wiederherzustellen oder vielmehr erst allgemein genießbar zu machen, vermochte eben nur eine unzerstückelte Wiedergabe der Briefe selbst, und dies ist es was ich hier biete und was, dessen bin ich gewiß, nicht bloß die große Menge der Mozartfreunde, sondern auch die Fachmänner willkommen heißen werden. Denn nur hier tritt uns mit voller Deutlichkeit entgegen, was Mozart gelebt und gestrebt, genossen und gelitten hat, und zwar in einer unmittelbar ergreifenden Macht, wie sie selbst die vollendetste Biographie niemals erreichen kann. Und wer kännte nicht den wechselnden Reichthum des Mozartschen Lebens! – Was jene Zeit bewegte, nein was überhaupt die Menschenherzen bewegt und stets bewegen wird, ging frischpulsirend und in den mannigfaltigsten Gestaltungen durch sein leicht erregtes Innere und spiegelte sich in einer Reihe von Auslassungen wieder, die in der That mehr einem Tagebuche als einer Correspondenz gleicht. Dieser Künstler, dem die Natur in jeder Hinsicht die klarste Geistesthätigkeit verlieh, die je ein Mensch besessen, verstand es auch sogar in einer Sprache, die ihm nicht einmal der völlig mundgerechte und durch Uebung entwickelte Ausdruck seines Innern war, alles was er sah und hörte, empfand und dachte, mit überraschender Klarheit, ja mit anmuthiger Heiterkeit, mit Geist und Empfindung dem Andern zu erzählen, und so besitzen wir vor Allem in seinen Reiseberichten an den Vater ausführliche Schilderungen von Land und Leuten, von dem Treiben der Künste, besonders in Theater und Musik, von den Vorgängen des eigenen Herzens und hundert anderen Dingen, die an Ergötzlichkeit, an allgemein menschlichem wie künstlerischem Interesse in unserer Literatur kaum ihres Gleichen haben. Und mag ihnen auch eine gewisse Styllosigkeit ankleben, d.h. ein Mangel an bestimmter Absicht, das Mitzutheilende in schöner oder doch vollkommen entsprechender Form zu sagen, sowie es ja Mozart in seiner Musik so meisterlich verstand, – mag auch die Redeweise, zumal in den spätern Briefen der Wiener Zeit, sogar manchmal etwas salopp sein, sodaß deutlich herauszufühlen ist, wie sehr den Meister das Buchstabenmalen ennuyirte, so sind doch die sämmtlichen Briefe ein höchst unbefangener und natürlich einfacher Ausdruck seines Wesens und erinnern schon dadurch in der erfreuendsten Weise an all die Liebenswürdigkeit und Herzlichkeit, an den Geist und die Anmuth, womit uns Mozarts Musik so tausendmal[6] in Entzücken versetzt. Ja die Berichte von der großen Pariser Reise können sogar einen gewissen ästhetischen Werth beanspruchen, denn sie sind durchweg mit sichtbarer Lust an der Schilderung selbst, ja sogar mit Witz, Anmuth und drastischer Charakteristik geschrieben. Und da nun all diese Vorzüge der Mozartschen Briefe uns eben völlig nur in einer unzerstückelten und zusammenhängenden Folge derselben entgegenzutreten vermögen, so habe ich mich nach jahrelanger eifriger Sammlung und Forschung entschlossen, diese Arbeit zu thun, d.h. die ganze Reihe der mir bekannt gewordenen Briefe zu veröffentlichen, und ich brauche jetzt wohl nur noch über die Art der Herausgabe einige erläuternde Worte zu sagen.

Erstens konnte die vorliegende Ausgabe durchweg nach den Originalien verfaßt und auf diese Art, wie der Fachmann bei genauerer Vergleichung leicht erkennen wird, für die bisherigen Veröffentlichungen in kleinen wie in größeren Dingen manches berichtigt werden. Jedoch habe ich es unterlassen, auf die Abweichungen sowohl von Nissen wie von Jahn jedesmal aufmerksam zu machen; denn ich liebe es nicht, Kleinigkeiten zu moniren, wo, wie bei Jahn, die Hauptsachen in der Ordnung sind. Ferner wird man aber durch die vollständige Wiedergabe der Briefe – es sind meist nur die sich stets eintönig wiederholenden Grüße und Unterschriften weggeblieben – auch manche ergänzende Züge aus des Meisters Leben und vor Allem mancherlei Nachrichten über Entstehung und Herausgabe seiner Werke finden, die wohl zu einzelnen Ergänzungen und Berichtigungen in Dr. Ludwig Ritter von Köchels »Chronologisch-thematischem Verzeichnisse sämmtlicher Tonwerke W.A. Mozarts« (Leipzig, Breitkopf und Härtel) führen können. Und zwar wird dies nicht allein durch die verhältnißmäßig geringe Anzahl der bisher völlig unbekannten Briefe, sondern auch durch den Abdruck der bisher als zu unbedeutend unterdrückten Stücke bereits bekannter Briefe geschehen. Nur da, wo mir der Besitzer[7] des Originals oder einer directen Abschrift nach demselben trotz aller Nachforschungen völlig unbekannt geblieben ist, habe ich mich an Nissen und Jahn gehalten. Doch kann ich hier nachträglich mittheilen, daß der Besitzer des Originals

1) von Nr. 4 (Mailand 10. Febr. 1770) die k.k. Hofbibliothek in Wien,

2) von Nr. 40 (Mailand 24. Nov. 1771) der Herr Musikdirector F.W. Jähns in Berlin,

3) von Nr. 236 (Wien 24. Mai 1784), der mindestens viermal so lang ist als das von mir nach Nissen mitgetheilte Stück und interessante Mittheilungen über Mozarts Hauswesen gibt, – sowie von Nr. 243 (Wien 4. April 1787) der Herr Dr. Franz Ritter von Heintl, Seiner k.k. apostolischen Majestät Truchseß und Oberfinanzrath, Ritter des Kaiserlichen Franz-Joseph-Ordens etc. ist, – wobei noch zu bemerken, daß der S. 438 Anm. nach Jahn mitgetheilte Abschnitt den Anfang des Briefes ausmacht;

4) befindet sich der Schluß von Nr. 110 (Paris 31. Juli 1778) jetzt auf der königl. Bibliothek in Berlin. Leider sind mir diese Nachrichten erst nach Beendigung des Druckes zugekommen.

Ferner habe ich zu erinnern, daß sämmtliche Briefe, deren Adressat nicht genannt worden, an den Vater gerichtet sind. Und daß die mangelhafte Orthographie Mozarts nur in den wenigen Knabenbriefen beibehalten, in allen übrigen dagegen mit der heutigen vertauscht worden ist, geschah aus dem einfachen Grunde, weil dieselbe nur in denjenigen Briefen ein wirklicher Reiz ist, wo sie mit dem knabenhaften Inhalte übereinstimmt, während in allen übrigen dieser Reiz sich so bald abstumpft, daß die Sache ermüdend wird und von dem Inhalte nur ablenkt, statt demselben ein erhöhtes Interesse zu gewähren. In Biographien kann und muß man der Originalschreibart stets treu bleiben, weil die Citate mit dem Text[8] des Erzählers abwechseln; in unmittelbar aufeinanderfolgenden Briefen ist mit diesem Reiz sehr sorgfältig umzugehen, wenn er nicht geradezu störend wirken soll.

Die erläuternden Anmerkungen sowie das beigefügte Lexikon, wobei mir Jahns Register als Vorarbeit gedient hat, werden die Briefe auch dem Laien verständlicher machen, während das mit dem Lexikon verbundene Register dem Forscher zu Lieb mit größter Sorgfalt angefertigt ist.

Indem ich nun schließlich vor Allem dem Archivar des Mozarteums in Salzburg, Herrn Jellinek, sowie all den Herren Autographensammlern und Bibliothekaren, die mich theils durch Abschriften ihrer Mozartbriefe theils durch Nachweisung von solchen unterstützten, meinen besten Dank abstatte, ersuche ich alle diejenigen, die sich im Besitze von solchen Briefen befinden, der Wissenschaft zu Gefallen genaue Abschrift davon mir einzusenden; denn die hier mitgetheilten Briefe geben Nachricht von noch manchem unbekannten Briefe Mozarts und es wird ohne Zweifel noch dieser oder jener von ihnen in der Welt umherirren und auf Erlösung harren. Mir selbst aber wünsche ich als besten Lohn für die Mühe und mancherlei Opfer, mit denen namentlich diese Sammlung zunächst nur erst beschafft werden mußte, daß die Leser der Briefe auch die Hauptabsicht erkennen mögen, die mich bei ihrer jetzigen Veröffentlichung geleitet hat. Denn diese Absicht ging nicht bloß dahin, der Wissenschaft zu dienen, auch nicht dieses durch seine Liebenswürdigkeit und Herzensreinheit so sehr anziehende Menschenbild von Neuem zur lebhaft anmuthenden Erscheinung zu bringen – dieses Ziel verfolgte ich bei meinem »Mozart«, – sondern es galt mir diesmal vor Allem wieder darauf aufmerksam zu machen, mit welch rückhaltlosem Eifer Mozart stets dem Fortschritt in seiner Kunst huldigte, das heißt dem Streben, den Ton immermehr zum Ausdruck des geistigen Lebens zu machen, und wie er dabei[9] zwar theils vom Stumpfsinn und der Trägheit der Menge gehemmt wurde, theils aber auch von dem Schwunge verstehender Geister unterstützt zum herrlichsten Siege über Zopf und Unsinn geführt ward. Wenigstens war es vor Allem dies, was mich bei der sonst geisttödtenden Copiatur und Collationirung der mir so wohlbekannten Briefe auch diesmal wieder und mehr als je lebendig ergriff, und was wohl in keinem Buche über den Meister dem Verstehenden jemals so überzeugend entgegentreten wird als in einer solchen zusammenhängenden Folge seiner eigenen Berichte über jenes unermüdliche künstlerische Ringen und Leisten. Möge also dieses auch unsere heutigen Künstler, jugendliche Talente wie lorbeerreiche Meister, die ja ebenfalls vor Allem auf dem Gebiete, wo Mozart sein Höchstes leistete, mit schönem Erfolge thätig sind, von Neuem hell entzünden und ihnen den kraftvollen Muth geben, der in der Erfahrung liegt, daß unablässiges Streben nach Erweiterung der Kunst und ihrer Mittel dem menschlichen Geiste überhaupt seine Gränzen weiter steckt und auch einzig im Stande ist, den Kranz der Unsterblichkeit zu reichen.

München 1. October 1864.

Ludwig Nohl.[10]

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865.
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