Vorrede zur dritten Auflage.

Die Neubearbeitung des vorliegenden Werkes dürfte nicht nur für die Verehrer des Meisters, dessen eingehender Würdigung es gewidmet ist, sondern für alle Freunde der Kunst überhaupt, welche gern den Genius in seinen frühesten Aeusserungen beobachten, deshalb erhöhtes Interesse gewinnen, weil sie durch die eingehende Besprechung der ersten, nicht veröffentlichten Compositionsversuche des genialen Knaben vervollständigt werden konnte.

Nachdem bereits 1848 in England mit dem Ertrage einer am 15. Decbr. von Julius Benedict geleiteten Aufführung des »Elias« die Mendelssohn-Scholarship für Unterstützung talentvoller englischer Musikstudierender begründet worden war, riefen die Erben des grossen Meisters für Deutschland eine entsprechende Stiftung ins Leben, indem sie dessen, noch in ihrem Besitze befindlichen handschriftlichen Nachlass der Preussischen Regierung unter der Bedingung übergaben, dass sie alljährlich zwei hoffnungerweckende junge deutsche Musiker mit je 1500 Mk. in ihren Studien unterstützt. Die Regierung überwies die Sammlung der Berliner Königl. Bibliothek, und hier konnte ich die frühesten selbstschöpferischen Versuche des Knaben Felix einsehen, um im dritten Kapitel darüber zu berichten, mit Anführung einzelner Partien, als Belege für die Richtung, welche sein Genius früh nahm und als Beweis dafür, dass unter den verschiedensten fremden Einflüssen sich doch auch bald eine gewisse Eigenart geltend machte.

Für den äusseren Lebensgang, und die, ihm bei der Schöpfung einzelner seiner Kunstwerke gewordenen Anregungen boten ausser der, noch wenig benutzten kleinen Schrift des Sohnes, Dr. Carl Mendelssohn-Bartholdy:

Goethe und Felix Mendelssohn- Bartholdy Leipzig, S. Hirzel, 1871.

die später erschienenen Schriften:

S. Hensel: Die Familie Mendelssohn. 1729 bis 1847. Berlin 1879.

Aus Moscheles Leben. Nach Briefen und Tagebüchern herausgegeben von seiner Frau. 2 Bände. Leipzig, Duncker und Humblot, 1872 und 1873.

und:

Briefwechsel zwischen Felix Mendelssohn-Bartholdy und Julius Schubring, herausgegeben von Professor Dr. Julius Schubring. Leipzig, Duncker und Humblot, 1892.

manche dankenswerthe Berichtigung und Ergänzung.

Die gegenwärtig herrschende Moderichtung, wel che hauptsächlich nur dem Sensationsbedürfniss und der Sucht nach starken, rein physischen Reizungen zu genügen trachtet, ist den Werken unseres grossen Meisters wenig günstig gesinnt, aus naheliegenden Gründen. Wenn aber einzelne Stimmführer der Richtung sich bis zur Acht- und Bannerklärung hinreissen liessen, so ist das nicht weniger verwerflich, als jeder Zelotismus auf anderen Gebieten des Geistes und des Lebens und hier um so mehr, als er dazu veranlasst, der Nation einen besseren Theil ihres Schatzes zu unterschlagen, nur um Raum zu gewinnen für eigene Erzeugnisse von nur zu oft sehr fragwürdiger Art.

Möge das Werk in seiner neuen Gestalt dazu beitragen, die unvergängliche Bedeutung des Meisters auch wieder in jenen Kreisen zur Anerkennung zu bringen, welche allmählich gelernt haben, sie abzuleugnen.

Berlin, im August 1892.

Der Verfasser.

Quelle:
Reissmann, August: Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sein Leben und seine Werke. Leipzig: List & Francke, 1893..
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