A. Die Bogomilen.

[38] In den byzantinischen Ostprovinzen Armenien, Mesopotamien und Nordsyrien hatten sich die Sekten der Paulicianer und Euchiten entwickelt und einander genähert. Vom 8.–10. Jahrhundert wurden sie nach Thracien verpflanzt, wo sie mit dem dort ansässigen Volke der Bulgaren in eins zusammenwuchsen, nicht ohne in religiöser Hinsicht umbildend auf dieses einzuwirken.

Wir kennen bereits die marcionitische Grundlage, aus der die armenischen Paulicianer ihren Dualismus hernahmen, und den Manichäismus, der ihnen mancherlei Lehngut darbot. Die Lehrweise der Euchiten, wie sie uns um 1050 überliefert ist, zeigt folgende Grundgedanken.

Dem höchsten Gotte, der die überweltlichen Regionen beherrscht, entstammen zwei Söhne, deren älterer, Satanaël, über die irdische Welt,[38] der jüngere, Christus, über die himmlische Welt gebietet. Weil beide als göttlichen Ursprungs gelten und ihre dermalige Entzweiung als nur vorübergehend gedacht wird, wird von einem Teil der Euchiten dem einen wie dem andern göttliche Verehrung erwiesen. Andere verehren nur den jüngeren Sohn, vermeiden es jedoch, dessen älteren Bruder Satanaël zu schmähen oder zu lästern, weil derselbe sonst ihnen zu schaden vermöchte.

Eine dritte religiös-sittlich entartete Euchitenpartei soll nur dem Satanaël, als dem Erstgeborenen des höchsten Vaters und Schöpfer der sichtbaren Welt, göttliche Verehrung erzeigt, ja Christum als Urheber gewisser schädlicher Naturwirkungen (Erdbeben, Hagel, Pest) betrachtet und daher verflucht haben (Herzogs Real-Encyklop., Artikel: Neu-Manichäer).

Nachdem die thracisch-bulgarischen Paulicianer sich mit diesen Euchiten gegen Ende des 11. Jahrhunderts zu der großen Sekte der Bogomilen (d.h. Gottesfreunde) verschmolzen hatten, finden wir folgende Welt- und Gottanschauung bei ihnen:


Satanael ist der ältere Sohn Gottes, der dem Himmel entfallen ist, einen Aufruhr unter den Engeln stiftete und dem Allmächtigen gleich sein wollte. Nach dem Fall wurde seinem Antlitz das Licht genommen, und er wurde menschenähnlich. Gott erbarmte sich seiner und gab ihm die Welt für sieben Tage, da erschuf Satanael auf Gottes Geheiß die sichtbare Welt. Er befahl der Erde, Tiere und Pflanzen hervorzubringen (über die Menschenschöpfung siehe Kap. II), Blitz und Donner, Hagel und Schnee sind sein Werk. Diese Herrschaft von sieben Tagen ist soviel als eine Herrschaft von sieben Jahrhunderten. So in dem Liber Johannis oder »Fragen Johannes des Theologen an den Herrn«, dem Codex der bogomilischen Lehre. (J.C. Thilo, Codex apocryphus Novi Test. S. 884–896.) Weiter hören wir bei Euthymius Zigabenus (Panoplia diplomatica Kap. VIII, col. 13061: Als Gott den von Satanael geschaffenen Körper des Menschen belebt hatte, versprach dieser, der Mensch solle beiden, dem höchsten Gotte und ihm, gemeinsam angehören und solle dazu dienen, die Lücken der oberen Engel weit, die einst der Fall der ihm nachgefolgten Engel gerissen hatte, wieder auszufüllen. Satanael bereut aber das Versprechen und sucht durch den Sündenfall die Herrschaft über die Menschen ausschließlich zu gewinnen. Nach Abels Tod entzieht der höchste Gott dem abtrünnigen Demiurgen Satanael seine göttliche Gestalt und bildende Kraft, duldet jedoch, daß der finster und mißgestaltig Gewordene die Herrschaft über die niedere Welt und die Menschheit einstweilen fortführt. Um dem tyrannischen Joch Satanaels entgegenzuwirken und den besseren Teil der Menschheit zu retten, läßt Gott 5500 Jahre nach Erschaffung der Welt den Logos als seinen zweitgebornen Sohn aus sich hervorgehen. Mit wechselnden Namen heißt er bald Jesus oder Christus, bald Erzengel Michael. Er besiegt den Satanael, der nun sein -el gänzlich verliert und zum ohnmächtigen Satan wird (Kap. 8, col. 1306). Der Sieger setzt sich zunächst an Satans[39] einstige Stelle zur Rechten Gottes, zuletzt kehrt er in Vaters Schoß, von wo er gekommen, zurück. (Herzogs Real-Encykl., ebda.)


Die Erde befindet sich anfänglich unter dem Wasser, denn es heißt in der Schilderung des Aufruhrs gegen Gott:


Als er in die Luft hinabgestiegen war, sagte er zum Engel der Luft: »Öffne mir die Tore der Luft«, und er öffnete sie ihm. Und beim Weitergehen traf er auf den Engel, der die Gewässer bewahrt, und sagte zu ihm: »Öffne mir die Tore der Gewässer«, und er öffnete sie ihm. Und nachdem er hindurchgegangen war, fand er die ganze Erdoberfläche mit Wasser bedeckt. Und nachdem er unter die Erde gegangen war, sah er zwei Fische auf den Wassern liegen, sie waren gekoppelt wie zwei Ochsen am Pfluge und hielten die ganze Erde2 auf Befehl des unsichtbaren Vaters vom Untergang bis zum Aufgang der Sonne. Danach stieg er weiter hinab und fand hängende Wolken, die das Meer hielten, und als er dann noch weiter gegangen war, fand er seinen Ossop, d.i. eine Art Feuer, und nun konnte er vor lodernden Flammen nicht weiter. [»Was das unverständliche Wort Ossop bedeuten soll, ist schwer zu sagen; vielleicht ist es ein Überbleibsel aus einem altslawischen Text oder ein Schreibfehler.« Pypin-Spasovič S. 107; als feurige Gihenna erklärt es Dragomanov.]


Der Grundcharakter der bogomilischen Lehre ist nach alledem als iranisch-gnostisch zu bezeichnen. Diese Lehre verbreitete sich zunächst auf der Balkanhalbinsel, namentlich in Dalmatien und Bosnien, welches Jahrhunderte hindurch ein Hauptsitz dieser christlichen Dualisten war.

»Fast die ganze Bevölkerung gehörte zu ihnen, meistens auch die Fürsten des Landes« (Gieseler in den Theolog. Studien und Kritiken I [Heft 2] S. 365).

Man findet sie ferner am Schwarzen Meer, in Rußland, Italien, besonders in der Lombardei, in Süd-Frankreich, in Paris und in der Bretagne, in Belgien, Holland und sogar in England, wo in Oxford im 12. Jahrhundert ein Concil dagegen berufen wurde (Gaster, Greeko-Slavonic), in Deutschland am Rhein, aber auch unter den im südlichen Deutschland wohnenden Slawen. Sie erscheinen aber in verschiedenen Richtungen und unter verschiedenen Namen, unter denen besonders die Albigenser und Katharer hervorragen. Es gab Schulen mit strengem und Schulen mit gemildertem Dualismus; jene lehrten, daß das gute und das böse Prinzip von allem Anfang an gemeinsam herrschten, diese nahmen einen einigen, obersten, guten Gott an. Einem schroffen Dualismus huldigten die Albigenser:


Die Gesamtheit der unsichtbaren und der sichtbaren Dinge ist von Ewigkeit her zwischen dem Gott des Lichtes und dem Fürsten dieser Welt so verteilt, daß jener über die unsichtbaren, dieser über die sichtbaren gebietet. Lucifer, der Sohn des Fürsten oder Gottes dieser Welt, hat von den Geschöpfen des Lichtgottes, den Engeln, einen Teil in seine niedere Welt herabgelockt. Diese zu befreien, ist die Aufgabe des Erlösungswerkes. Der alttestamentliche[40] »Gott der Welt«, dessen Werkzeug Moses war (ebenso bei den Marcioniten), hat dieses Werk zu hindern gesucht; im Neuen Bunde vollbringt Christus durch die Geistestaufe die Rettung der Verlorenen. Johannes der Täufer, der ihm mit seiner Wassertaufe entgegenwirkt, ist das Hauptwerkzeug des Fürsten dieser Welt.


Der gemilderte Dualismus der Concorrezaner und Bagnolesen lehrt dagegen:


Der höchste Schöpfergott hat außer der Geisterwelt auch die Materie erschaffen, aber deren Ordnung seinem älteren Sohne Lucifer (dem Demiurg der Gnostiker und Satanael der Bogomilen) überlassen.

Dieser ursprünglich gute, aber aus Stolz gefallene Geist ist der Gott des Alten Testaments.


Die Spuren solcher dualistischen Lehren müssen sich in den Hauptschauplätzen ihres Wirkens finden, die Volkssagen müssen noch heutzutage den lebendigen Nachhall der einst so bedeutenden Bewegung aufweisen. Merkwürdigerweise bietet Frankreich so gut wie keine dualistischen Weltschöpfungssagen. Der beste Kenner französischer Volkskunde, Paul Sébillot (Folklore de France I, 182), sagt:

»Überlieferungen über den Ursprung unserer Erde, wie sie bei primitiven Völkern und auch in Europa gefunden werden, scheint es in Frankreich nicht zu geben.« Wir finden nur folgende entfernte Anklänge, von denen es sogar zweifelhaft ist, ob sie in unseren Sagenkreis gehören.

1. Die Erde war zuerst ganz flach, erst nach der Sündflut fanden sich überall Seen, Täler, Hügel und Berge. Legende aus Albret. Sébillot, p. 182.

2. Die Berge sind dadurch entstanden, daß sich die Erdoberfläche hob, als die Riesen im Erdinnern gegeneinander kämpften. Aus dem belgischen Luxemburg. Sébillot, p. 213 = Revue des trad. pop. VIII, 230.

3. Gott schuf die Erde, der Teufel das Wasser, sie zu ertränken. Revue des trad. pop. I, 203 (Haute-Bretagne).

Dagegen werden wir später (in unserem vierten Kapitel) andere dualistische Sagen aus Frankreich, die zweifellos mit dem bogomilischen Vorstellungskreise zusammengehören, in großer Zahl nachweisen können.

Indem wir uns nun zu den bulgarischen Volkssagen wenden, deren Typus aus dem Anfang dieses Kapitels bekannt ist, so ist der Zusammenhang zwischen der mündlichen Tradition und der religiösen Lehre der Bogomilen ohne weiteres klar. Aber andererseits stimmen beide doch nicht so durchaus überein, wie man erwarten dürfte. Auch gibt es in der mündlichen Erzählung mancherlei Einzelheiten, die uns wohl im Orient begegnet sind, die aber das bogomilische Lehrsystem nicht enthält. Wenn es nicht etwa populäre Bücher gegeben hat, die wir nicht kennen, so hat[41] man die bulgarische Sage offenbar nicht als den direkten Ausfluß des bogomilischen Schrifttums anzusehen. Die Sagenströmung, die von Transkaukasien kam, mag bis zu den Bulgaren gelangt sein. Sehr vieles wird aus der armenischen Heimat der Paulicianer stammen, und nur durch Wanderung von Mund zu Mund, nicht aber durch Bücher sich erhalten haben. Hierher gehört die Erschaffung der Erde aus einem Sandkorn (bei den Bogomilen: Hervorbringen der ganzen Erde aus dem Wasser) und die Überlegenheit Satanaels und Gottes Schwäche (bei den strengen Bogomilen: Teilung der Welt unter zwei gleiche Prinzipien, bei den gemäßigten Bogomilen: Gottes Übermacht über Satanael, der als seine Schöpfung ihm untergeordnet ist. Zu dieser Übermacht stimmt in der Volkssage: Gottes Initiative der Welterschaffung und ihr gegenüber die Unfähigkeit des Teufels, ohne Gottes Wort etwas zu erschaffen [vgl. auch Kap. IV: die Teufelswerke], nicht dagegen stimmt in der Volkssage die Biene als Lauscher, sie ist von vorbogomilischer, armenischer Herkunft [vgl. oben S. 12]).

Ich führe zuerst solche Sagen an, die dem bulgarischen Typus, wie er oben mitgeteilt ist3, am nächsten stehen.


1. Eine rumänische Sage (Marianu, Insectele 122):


Vor der Erschaffung der Erde waren Gott und der Teufel allein über den Wassern. Als Gott beschloß, die Erde zu schaffen, schickte er den Teufel auf den Grund des Meeres, um in seinem (Gottes) Namen von da den »Erdsamen« zu holen. Dreimal tauchte der Teufel, brachte aber nie den Samen bis an die Oberfläche, da er ihn stets in seinem eignen Namen geholt hatte. Schließlich tauchte er ein viertes Mal in seinem und in Gottes Namen; da brachte er wenigstens etwas mit herauf, so viel nämlich, wie unter seinen Fingernägeln (Krallen) geblieben war. Daraus fertigte Gott eine Art Kuchen (= Erdklumpen) und setzte sich darauf, um auszuruhen. Der Teufel glaubte, Gott schlafe; drum wollte er ihn samt dem Erdklumpen ins Meer wälzen, um sich zum Herrn zu machen. Aber immer, wenn er Hand anlegte, wuchs der Klumpen, bis ein riesiger Erdball daraus wurde. Dadurch wurden die Wasser verdrängt, und als Gott erwachte, sah er, daß für das Wasser nicht mehr genug Platz da war. Da er selbst keinen Rat wußte, schickte er die Biene zum Igel, dem weisesten der Tiere, die er unterdessen geschaffen hatte. Der Igel aber wollte keinen Rat erteilen, da ja Gott allwissend sei. Die Biene aber versteckte sich, belauschte ein Selbstgespräch des Igels, in dem er sagte: »Offenbar weiß Gott nicht, daß er Berge und Täler schaffen muß, um für das Wasser Raum zu schaffen.« Mit dieser Botschaft kam die Biene zu Gott zurück, der die Igelweisheit befolgte. Der Igel jedoch verfluchte die Biene, weil sie ihn belauscht hatte; sie sollte nur noch[42] Kot essen. Gott aber belohnte die Biene und bestimmte, ihr Kot sollte nicht schmutzig und verachtet sein, sondern gut zu essen – und das ist Honig.


  • Literatur: (Der Igel wird für den Ratgeber und Helfer Gottes bei der Schöpfung angesehen; Hinweis auf iranische Herkunft siehe Kap. IV, 1.)

2. Eine russische Sage:


Gott schickte den Teufel, Erde vom Meeresboden zu holen. Der Teufel wühlte dreimal, doch konnte er sie nicht bekommen. Wieviel Erde er auch faßte, auf seinem Rückweg spülte das Wasser alles hinweg. Nur unter den Nägeln blieb etwas. Gott nahm nun dieses bißchen zur Hand und machte daraus die Erde. Da fing der Teufel einen Streit mit ihm an und sagte: »Habe ich dir etwa zu diesem Zwecke Erde geholt?« Und er wollte die ganze Erde zusammennehmen und sie wieder ins Wasser werfen. Aber es war zu spät. Wiewohl er ihr nachlief, floh sie immer weiter und weiter von ihm weg und wurde so groß, daß sie jetzt endlos und grenzenlos ist.


  • Literatur: (Etnograf. Sbornik VI, 1864, Abt. 1, S. 122.)

3. Aus der Bukowina.


Einst war nichts; oben nur der Himmel und unten Gewässer. Da fuhr Gott in einem Boot auf den Wassern umher und fand ein großes, großes Stück festen Schaumes, darin der Teufel stak. Wer bist du? fragte ihn Gott. – Ich habe nicht not, antwortete der Böse, dir Rede zu stehen, außer du nähmest mich in dein Fahrzeug auf. Gott versprach es und erhielt zur Antwort: Ich bin der Teufel. Beide fuhren nun herum, ohne ein Wort zu wechseln, bis der Böse begann: Wie gut wäre es und zweckmäßig, wenn es ein Festland gäbe. – Das soll werden, antwortete Gott. Tauche du hinab auf den Meeresgrund und bringe eine Handvoll Sand herauf, daraus werde ich ein Festland schaffen. Wenn du aber hinabgelangt nach dem Sande greifst, sprich die Worte: Ich nehme dich im Namen Gottes. Der Teufel ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern war gleich unter den Wassern. Auf dem Grunde griff er mit beiden Händen gierig in den Sand hinein mit den Worten: Ich nehme dich in meinem Namen. Auf der Oberfläche angelangt, guckte er voll Neugierde in die festgeballten Fäuste und staunte nicht wenig, als er sie leer fand. Gott aber bemerkte, was in ihm vorging, tröstete ihn und hieß ihn nochmals auf den Grund hinabtauchen. Er tat es, und als er tief unten nach dem Sande langte, sprach er: Ich nehme dich in seinem Namen. An die Oberwelt brachte er aber nicht mehr Sand, als was unter seinen Nägeln Platz gefunden hatte. Gott nahm dieses bißchen Sand, streute es auf die Wasserfläche, und es ward Festland, nicht größer jedoch als ein Ruhebett. Als es Nacht wurde, legten sich Gott und der Teufel auf das Festland nieder, um auszuruhen. [Gott nach Osten, der Teufel nach Westen, Afan.] Unser Herr Gott war kaum eingeschlummert, und der Teufel stieß ihn gegen Osten, daß er ins Wasser falle und untergehe. Nach welcher Gegend er ihn gestoßen, in dieser Richtung war es aber weit, weit Festland geworden. Der Teufel versuchte es mit einem Stoße nach Westen, und auch nach dieser Himmelsgegend dehnte sich das Festland gar weit aus. Dasselbe veranlaßte die Entstehung des Festlandes auch nach den übrigen Himmelsgegenden. [Darauf stand Gott auf und ging in den Himmel, Afan.]


  • Literatur: (Ztschr. f. dt. Myth. I, 178 f.) = der galizischen Version bei Afanasiev, poet. vozzr. 460, Erben 143–44.

[43] 4. Eine lettische Sage:


Als Gott die Erde erschaffen wollte, schickte er den Teufel ins Wasser: er sollte sehen, ob er nicht Sand fände, dann sollte er ihm etwas davon bringen. Der Teufel ging ins Wasser, suchte lange, aber ohne Erfolg. Er kam zurück und sagte, das Wasser sei leer. Nun schickte ihn Gott abermals, er solle sorgfältig suchen. Der Teufel tauchte an der tiefsten Stelle auf den Grund und bekam wirklich Sand zu fassen: ein gut Teilchen hatte sich hinter seinen Klauen gesammelt, und das brachte er herauf. Nun kratzte Gott das Sehwarze unter des Teufels Nägeln hervor, schüttete es in seine hohle Hand und streute es über das Wasser. Daraus entstand sogleich die feste Erde.


  • Literatur: (Lerchis-Puschkaitis VI, 24.)

5. Entstellt ist die bulgarische Variante, die Drinov (Periodičesko Spisanije na bulgarskoto knižovno Družsestvo 1884, VIII, 124–26) mitgeteilt hat. (Vgl. Strauß, Die Bulgaren S. 9.) Sie beginnt:


»Wie die alten Leute erzählen, hat der Satan die gleiche Kraft und Macht gehabt, wie Gott; daher ihn Gott in vielen Fällen um Rat befragt hat.« Woher Satan diese Kraft genommen hat, darüber wird folgendes berichtet: Der greise Gott wanderte durch Wald und Feld und freute sich über die Schöpfung. Aber er sehnte sich doch nach einem Gefährten, mit dem er sprechen und die Zeit freudiger zubringen könne. Als er einmal sich wieder in Flur und Hain erging, betrachtete er seinen Schatten und sprach: »Steh auf, Gefährte!« Und der Schatten erhob sich in demselben Augenblick als Mensch. Von nun an schloß er sich Gott an und ward Gottes Gefährte und Freund. Gott hatte den Satan sehr gerne und tat ihm deshalb zuliebe alles, was er verlangte. Der Satan wünschte, daß sie die Welt in zwei Teile teilen sollten. »Die Erde soll mir gehören,« sagte der Satan, »der Himmel dir; und auch die Menschen wollen wir teilen; die Lebenden sollen dir gehören, und die Toten mir!« – »Es soll so geschehen, wie du es sagst!« antwortete Gott. »Schön!« meinte der Teufel, »damit aber unser Vertrag unanfechtbar sei, so gib ihn mir schriftlich!« Der Vertrag wurde also geschrieben und dem Satan übergeben. Das Weitere ist Vermengung mit der Sage vom Sonnenraub. (Kap. IV.) Ein Engel entwendet dem Teufel den Vertrag, während dieser ins Meer taucht, um Sand zu holen.


Die Entstehung des Teufels aus Gottes Schatten entspricht der gemäßigten Form des Bogomilismus, wonach Satanael nicht als ein-ewig mit Gott, sondern als erschaffen aufgefaßt ward.

Blicken wir nunmehr nach Rußland hinüber, so taucht eine neue Sagenform auf, die sich als ein interessantes Gemisch balkanisch-bogomilischer und iranisch-slawischer Tradition darstellt.

Fußnoten

1 Migne, patrologia Graeca 128.


2 Parallelen hierzu in einem späteren Bande dieses Werkes.


3 In der slawischen Literatur ist er, soweit ich sehe, an folgenden Stellen abgedruckt: Obšt trud 1868, S. 73–78; Dragomanov, malorussk. predan. 429 f. und Sbornik VIII, 257. Buslaev, istoričeskija očerki I, 438 f., Afanasiev, poet. vozzrênija II, 459 f., Karadžic, Srpske Nar. Prepov. 114 und Srpske Nar. Pjesme II, 81–85. Vasov und Veličkov, bulgarskata christomatia 46–49.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 44.
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