I. Adams Körper wird von Gott belebt.

[89] Die jüdische Tradition sagt, daß Adam zuerst als lebloser Körper erschaffen wurde, daß Gott erst später ihm die Seele einhauchte.1

Hierzu stellt sich folgende arabische Erzählung:

Als Gott Adam aus Lehm geschaffen hatte, verstrich eine geraume Zeit, so daß die Gestalt wie Tonerde wurde. Da sandte er ihm seinen Odem. Als dieser die Enge und Dunkelheit des Eingangs sah, mißfiel es ihm, aber es wurde ihm gesagt: »Fahre mit Gewalt hinein.« Der Odem ging also durch die Nasenlöcher in den Kopf, Adam öffnet die Augen, die Zunge wird ihm gelöst, die Ohren weiten sich, er niest und ruft: Gelobt sei Gott!2

Unter moslemischem Einfluß steht offenbar folgende jesidische Legende, in der namentlich das Widerstreben des Odems wiederkehrt:


Gott sprach zu seinen Gefährten3: »Jetzt haben wir Himmel, Erde, Paradies und Hölle gemacht, jetzt brauchen wir Untertanen. Wir wollen Adam[89] schaffen, und einer von euch soll sich als Adam verkörpern. Wer von euch ist bereit dazu?« Keiner meldete sich, und Gott sprach zu Sheik-Sinn: »Du wirst dich als Adam verkörpern.« Aber dieser bat Gott, es ihm zu erlassen, er wolle nicht in einem Wesen leben, das mitsamt seiner ganzen Nachkommenschaft der Sünde unterworfen sei. Allein Gott bestand darauf, und Sheik-Sinn gab nach, jedoch unter einer Bedingung. »Du mußt mich,« sagte er, »bis zu dem Körper begleiten, den du machen willst, und mich selbst hineinlegen. Außerdem ein Paradies für mich schaffen, wo ich leben werde.« Gott nahm diese Bedingungen an und machte einen Teig aus den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Daraus bildete er einen menschlichen Körper und führte Sheik-Sinn hinein. Alsbald fing Adam an zu leben und ging ins Paradies. Von dem Rest des Teigs machte Gott Eva.

Fußnoten

1 Grünbaum, Neue Beiträge 62.


2 Huart, Livre de la création d'Abou-Zéïd, S. 77. Ebda. S. 74 u. 77 heißt es, daß Adam erst 40 Jahre gelegen habe und wie Ton geworden sei, ehe Gott ihm den Geist gab. Mâs'ûdi (Pariser Ausg. I, 52 ff.) erzählt mit Bezugnahme auf Sur. 15, 26: 80 Jahre lang sei Adam als unförmlicher Klotz dagelegen, darauf habe ihm Gott menschliche Gestalt, aber ohne Seele verliehen, in welchem Zustande er 120 Jahre lang blieb. Darauf blies ihm Gott den Lebensodem ein, aber bevor dieser seinen ganzen Körper erfüllte, wollte er sich schon erheben, und darum heißt es im Koran: Der Mensch ist hastig erschaffen worden. Als nun aber der göttliche Lebenshauch ihn ganz erfüllte, nieste Adam; da sagte Gott zu ihm: Sprich: Gepriesen sei Gott! Und möge Gott dir gnädig sein, o Adam.

Auch die Kommentatoren Baiḍâwî zu Sur. 17, 12 und Samaḫśṙaî zu Sur. 21, 38 bemerken, daß Adam, ehe er noch ganz vom Lebensodem erfüllt war, sich erhob und gleich darauf niederfiel (Grünbaum, Neue Beiträge 62).


3 Vgl. im Avesta die oberen Engel als Helfer des Ormuzd, und in der Bibel Genesis I, 26; III, 22 den Pluralis Elohim.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 90.
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