VII. Das Kreuzesholz.

[207] Bäume, die das Holz zum Kreuz geliefert haben sollen, nehmen eine besondere Stellung unter den übrigen ein. Die Espe gewährt nach polnischem Aberglauben Schutz vor Gewitter1, ebenso der Holunder (elder tree) nach englischer Sage2; der Nußbaum trägt in jeder Nuß einen Nagel, ähnlich denen, die zu Christi Kreuzigung dienten (Antwerpen).3

Die Tanne setzt ihre Äste rund um den Stamm, so daß lauter kleine Kreuze entstehen. Und eine nachhaltige Wirkung des göttlichen Blutes, das am Stamme niederfloß, ist das immerwährende Grün, das auch inmitten von Eis und Schnee dauert (Warnke S. 49; U. Jahn, Volkssagen aus Pommern und Rügen S. 490). Auch ihre stolz ragende Haltung hat sie zum Lohn für den Dienst, den sie dem Heiland erwiesen (U. Jahn, ebendort).

Vom »Knödelbaum« (Feldbirnbaum) erzählt das Volk der Neumark:


Als die gottlosen Kriegsknechte den Kreuzesstamm für unsern Heiland zimmern wollten, nahmen sie in der Eile einen abgebrochenen Knödelbaum, der grade dalag und von dessen hartem Holze sie keine Kenntnis hatten. Er schien aber passend, weil zufällig rechts und links Äste kreuzförmig zur Seite standen. Mit unsäglicher Mühe schlugen sie die großen Nägel ein.

Als nun das heilige Blut über den Stamm und in dessen Risse strömte, da ward des Holzes Fluch getilgt. Den abgebrochenen Baum überkam neues Leben und rief nach unten zu treibend eine frische Wurzel hervor. Als das Kreuz niedergelegt ward, riß sie sich die Erde festklammernd los und blieb im Golgathahügel. Und als nach der Zerstörung Jerusalems um den Hügel wieder freies Feld war, da sproß aus der Wurzel ein Baum hervor, wohl an Gestalt dem alten gleich, doch seine Blätter waren von roten feinen Adern durchzogen, seine Früchte enthielten blutroten Saft, schmeckten wunderschön süß und förderten trefflich Gesundheit und Wohlsein derer, die sie aßen. Alt und dornen war der Baum: die Blutknödel!


  • Literatur: E. Handtmann, Neue Sagen aus der Mark Brandenburg S. 169. (Nach Handtmann liegt hier eine alte Templersage vor.)

Viel natürlicher und dem Volksempfinden mehr entsprechend ist die Vorstellung, daß der Baum, der zum Tode des Erlösers mithalf, bestraft[207] worden ist. Die Espe ist zu ewigem Zittern verurteilt (ostpreußisch, niederländisch, schottisch, ungarisch)4; die Erle wird blutigrot, wenn man sie schneidet5.


Im Westen Englands gibt es eine Überlieferung, wonach das Kreuz aus dem Holze einer Mistel gemacht wurde. Diese war bis dahin ein stolzer Waldbaum gewesen, seitdem aber muß sie zur Strafe ein Schmarotzerdasein führen.


  • Literatur: Dyer, English Folklore p. 34 = Notes and Queries 8. Ser. 8, 489.

In Mantua erzählt man: Heutzutage ist die gewöhnliche Waldrebe (viburnum Lantana) ein bescheidener Strauch, der verborgen unter Zäunen wächst und sich nur zur Zeit der Blüte bemerkbar macht. Einst aber war er ein stattlicher Baum und wetteiferte an Größe mit der Eiche. Er hatte jedoch das traurige Schicksal, zum Kreuzesholz gebraucht zu werden, daher verfluchte ihn die Madonna und sprach: »Du wirst künftig weder Splitter noch Bretter geben!«


  • Literatur: Archivio per lo studio delle trad. pop. 17, 442.

Auch der Seidelbast soll einst ein stolzer Baum gewesen sein. Als aber die Juden das Kreuz Christi aus seinem Holze zimmerten, traf ihn der göttliche Fluch, und er schwand nun immer mehr dahin, bis er endlich zu einem kleinen mageren Sträuchlein wurde.


  • Literatur: Baumgarten 1, 147. Franz Söhns, Unsere Pflanzen, 1897, S. 11. Perger, Deutsche Pflanzensagen, 1864, S. 221.

Die Salweide ist nach huzulischer Sage ein verfluchter Baum, weil ihr Holz sich nach der Kreuzigung des Heilands zu Nägeln verwenden ließ. Die andern Bäume und Sträucher hatten sich dagegen gesträubt, indem die aus ihrem Holze gefertigten Nägel zersprangen oder stumpf wurden.


  • Literatur: Kaindl, Die Huzulen S. 106. Vgl. Čubinskij, Trudy 1, 76: Aus der Weide waren die Kreuzesnägel gemacht.

Das Volk in Småland (Schweden) glaubt, daß die Birke, mit welcher der Heiland gegeißelt wurde, betula nana sei; sie wurde verflucht und mußte zusammengekrümmt auf dem Felde kriechen.


  • Literatur: R. Dybeck, Runa (1845) S. 77. Früher war diese Birke ein hoher, stämmiger Baum; Afzelius, Sagohäfder 3, 116 (Schweden). Andere sagen, daß dies die Hangelbirke (betula alba) sei: Ons Volksl. 11, 69.

In Estland heißt es, das Kreuz Christi sei aus dem Wacholder- oder dem Piehlbeer- oder dem Schneeballenholz gemacht gewesen. Darum hätten diese Bäume die Wunderkraft, daß man mit einem Knüttel aus ihrem Holze den Teufel erschlagen könne.


  • Literatur: Handschriftlich im Nachlaß von J. Hurt.

Die Juden des Südens erzählen, daß Jesus nicht am Kreuze, sondern an einem berberischen Feigenbaum den Tod erlitt. Um diese Pflanze für die Rolle, die sie mittelbar in jener Tragödie gespielt hatte, zu strafen, verfluchte er sie und[208] bestimmte, daß ihre Früchte hinfort zahllose Stacheln tragen sollten, die die Pflanze zu einem von allen Menschen gemiedenen Baume machen würden.


  • Literatur: L. Jacquot, Légendes sahariennes in Revue des traditions populaires 16, 266.

Parallele aus Serbien.


Der Sumach hatte in früherer Zeit Olivenfrüchte, aber Gott hat ihn verflucht, seitdem ein König einen Sündlosen an diesem Baum aufgehängt hat.


  • Literatur: B. Karadžić, Život i običai srpskago narode S. 231.

Wie in so vielen andern Sagen, so wird auch hier die Handlung – daß ein Baum das Holz zum Kreuze liefert – durch den Gegensatz anderer Bäume gesteigert.


Aus Ungarn.


a) Als sie Christus kreuzigen wollten, suchten sie einen passenden Baum, um ihn zu behauen. Die Eiche leistete heftigen Widerstand. Der Weidenbaum neigte sich nach rechts und links, so daß sie ihn nicht schneiden konnten. Die Tanne wehrte sich mit ihren Nadeln. Doch mit der Espe machten sie weiter keine Umstände; sie schlugen sie ab. Jedes Blatt an ihr zitterte. Und noch heute zittert sie, denn sie fürchtet, daß wieder jemand an ihr aufgehängt wird.


  • Literatur: Ethnographia 12, 221 = Revue des trad. pop. 7, 484; auch Magyar Nyelvör 12, 46.

b) Es heißt, als man Christus kreuzigen wollte, so fand man keinen Baum, der ihn tragen konnte. Jedes Kreuz brach unter ihm zusammen; denn er hatte alle Bäume in den Bann getan, nur die Espe hatte er vergessen. Als man ihn schließlich an ein Kreuz aus Espenholz schlug, so brach es unter ihm nicht zusammen. Seit der Zeit weint die Espe.


  • Literatur: Am Urquell 3, 268.

Aus Griechenland.


Als es laut wurde, daß die Juden Christus zum Kreuzestode verurteilt hatten, versammelten sich des Nachts alle Pflanzen und beschlossen, ihr Holz nicht für das Kreuz herzugehen. Aber wie sich unter den zwölf Aposteln ein Judas befand, so auch unter den übrigen Bäumen die Steineiche, und sie allein sagte, daß sie den Beschluß nicht annähme. Alle andern Pflanzen taten sie da in den Bann und sagten, sie solle auf ewig ausgestoßen sein für ihren furchtbaren Verrat.

Als die jüdischen Handwerker das Kreuz zu zimmern versuchten, sahen sie mit Erstaunen, daß, welches Holz sie auch nahmen, es sich nicht bearbeiten ließ, sondern sich warf, zerbrach und entzwei ging, und daß alle ihre Mühen vergeblich waren. Nachdem sie alle Holzarten probiert und ihren Willen nicht hatten durchsetzen können, nahmen sie auch das Holz der Steineiche, und nur dieses leistete keinen Widerstand; und so verfertigten sie das Kreuz.

Darum ist die Steineiche ein verfluchter Baum, und darum meiden sie die Holzhauer auf den Bergen, damit sie nicht ihr Beil beschmutzen noch die heilige Flamme des Feuers beflecken.


  • Literatur: Politis, μελέται Nr. 179 = Gubernatis, myth. d. plantes 2, 85 = Ons Volksleven 11, 70.

Fußnoten

1 Amélie Godin, Poln. Volksm., übers. nach der Originalsammlung von Glinski S. 152 Anm.


2 Notes and Queries 8. Ser., vol. 8, 104, vgl. 1. Ser., vol. 7, 177.


3 Rolland, Flore pop. 4 (1903), S. 50 = Harou, mélanges p. 58.


4 H. Frischbier, S. 320; Ons Volksleven 11, 71; W. Gregor, Folklore of Scotland p. 148; Henderson, Folklore of Northern counties p. 58; Folklore Journal 7, 41; v. Wlislocki, Volksgl. u. relig. Brauch der Magyaren S. 83; vgl. Warnke S. 49.


5 Wossidlo, Volkstüml. aus Mecklenburg 1. Heft, Nr. 61.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 209.
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