CLXIV.
Achtes Hauptstück. [294] Anekdoten.

Chaled, der Sohn Sofjans, der Freund des Chalifen Seffah, der in Selma, die Tochter Jarebs, sterblich verliebt war, sagte ihm eines Tages: Aber, Fürst der Rechtgläubigen! wie kannst du in ein einziges Weib so verliebt seyn, da du deren so viele in deinem Harem hast, von allen Farben, von allen Talenten, und allen Nationen, Schwarze, Weiße, Kleine, Große, Sängerinnen, Tänzerinnen, Perserinnen, Griechinnen; kurz, er machte eine so umständliche Beschreibung von allen Schönen des Harems[294] und ihren Schönheiten, daß der Chalife in tiefes Nachdenken versank.

Er erzählte die Unterredung seiner Selma, die äußerst aufgebracht ward wider Chaled, so daß der Chalife alle Mühe hatte, den Ausbruch ihres Zorns zu mäßigen. Chaled, der davon verständigt wurde, hielt sich versteckt. Nach drey Tagen ließ ihn der Chalife suchen und holen. Beym Eintritt in den Saal bemerkte Chaled, daß sich Etwas hinter den Tapeten rührte, und Jemand versteckt sey. – Wie kömmt es, fragte der Chalife, daß ich dich nicht gesehen habe, seitdem du mir mit einem Strom von Beredsamkeit eine so hin reißende Beschreibung der Schönheiten meines Harems gemacht hast.

Bey alle dem, antwortete Chaled, daß ich alle Gattungen von Weibern aufgezählt zu haben glaubte, habe ich doch vergessen, von einer Art derselben zu sprechen, die sehr selten ist, und von der ich nicht weiß, ob dieselbe in deinem Hareme zu finden oder nicht. Ich meine die Frauen, so keine andere Rache kennen, als Verzeyhung. Drey Tage lang habe ich eine solche umsonst gesucht in der ganzen Stadt. Möglich, daß deine Gemahlin Selma unter diese so äußerst seltene Art gehöre. In diesem Falle wäre sie ein wahrer Phönix, und ich begriffe dann leicht, warum du ihr eine so ausschließende Liebe geweiht. Selma, die hinter der Tapete versteckt war, geschmeichelt durch das feine Compliment, steckte den Kopf hervor[295] und sagte: Für diesmal hast du's errathen, Chaled. Er ward reichlich beschenkt.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 294-296.
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