Hundertundeinundvierzigstes Capitel.
Wie man klugen Rath immer anhören, andern aber verwerfen muß.

Einst lebte ein König Fulgentius, in dessen Reiche ein gewisser Ritter Namens Zedechias sich befand, der eine schöne Frau nahm, die aber nicht sehr klug war. Es wohnte aber in seinem Hause in einem Gemache eine Schlange. Der Ritter aber besuchte Turniere und Lanzenrennen so lange, bis er in die äußerste Dürftigkeit gerieth: nunmehro aber weinte er bitterlich und lief wie verzweifelt bald hier bald dort hin, indem er nicht wußte, was er anfangen sollte. Wie aber die Schlange seinen Schmerz gewahr wurde, da bekam sie das Vermögen zu reden, wie einst die Eselin Bileams, und sprach: warum weinest Du? thue nach meinem Rath und Du wirst es nachher nicht bereuen: gieb mir jeden Tag süße Milch und ich will Dich reich machen. Wie das der Ritter hörte, freute er sich sehr und versprach dieses getreulich erfüllen zu wollen. Alsbald ward er in kurzer Zeit sehr reich und bekam schöne Kinder und großen Reichthum. Nun begab es sich aber eines Tages, daß seine Frau zu ihm, ihrem Manne sprach: Herr ich glaube, daß jene Schlange in dem Gemach, worin sie liegt, viele Güter besitz: ich rathe sie zu tödten und wir werden ihre Schätze bekommen. Er aber brachte auf Antrieb seiner Frau einen Hammer herzugeschleppt, um die Schlange bei ihrem Milchtopfe zu erschlagen. Wie nun die Schlange den Milchtopf sah, steckte sie ihren Kopf aus einem Loche[1] des Gemaches heraus, um nach ihrer Gewohnheit die Milch zu lecken. Als aber der Ritter dieses bemerkte, hob er den Hammer auf und wollte damit die Schlange erschlagen, allein diese sah es auf einmal, zog den Kopf zurück und der Hieb traf den Milchtopf. Sogleich nachher verlor der Ritter Alles, was er besessen hatte und seine Frau sprach zu ihm: o weh, ich habe Dir einen schlimmen Rath gegeben, gehe also zu dem Loche der Schlange und demüthige Dich in Allem vor ihr, ob Du nicht vielleicht bei ihr Gnade finden kannst. Der Ritter machte sich also nach dem Gemache der Schlange auf und weinte bitterlich und bat sie um Gnade, damit er durch sie, wie früher, reich werden könne. Die Schlange aber sprach zu ihm: jetzt sehe ich, wie dumm Du bist und daß Du auch dumm bleiben wirst, denn es ist unmöglich, daß nicht jener Hammerschlag mir öfters in's Gedächtniß kommt, und es Dir einfällt, wie ich Deine Kinder getödtet und Deinen Reichthum genommen habe: darum kann kein wahrhafter Friede zwischen uns bestehen. Hierüber ward der Ritter sehr traurig und sprach: ich verspreche Dir auf mein Wort, daß ich nie Etwas gegen Dich verüben will, wenn ich nur Deine Gunst wieder erhalten kann. Hierauf antwortete ihm die Schlange: mein Lieber, die Natur der Schlange ist Verschlagenheit und meine Worte voll von Gift müssen Dir genug seyn, denn eben fällt mir der Schlag mit dem Hammer und Deine Nichtswürdigkeit ein, packe Dich weg, damit Dir nicht noch ein größeres Unglück zu Theil wird. Der Ritter aber entfernte sich mit großen Schmerzen von ihr und sprach zu seiner Frau: weh mir, daß ich Deinen Rath ausgeführt habe. Und also brachten sie nunmehr ihr Leben beständig in Dürftigkeit hin.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 1-2,268-269.
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