Hundertundachtzigstes Capitel.
Von der Treue.

[130] Paulus, der Langobarden Geschichtschreiber, erzählt, daß ein gewisser Krieger Onulphus aus Pavia seinem Könige Portaticus solche Beweise seiner Treue gegeben hatte, daß er sich für die Rettung seines Herrn sogar dem Tode preis gab. Da denn Grimmoaldus, der Beneventaner Herzog, durch den Genebaldus, den ersten Herzog von Ravenna und Verräther an der königlichen Krone, nachdem Godobertus, der Longobardenkönig, getödtet worden war, mit Gewalt und List bis zum Zelte des Königs vorgedrungen war, nachdem der leibliche Bruder dieses genannten Königs Godobertus bis zu den Ungarn auf seiner Flucht gejagt worden war, suchte der genannte Ritter Onulphus den Portaticus mit dem Grimmoaldus zu versöhnen, damit er von Ungarn, wohin er nicht einmal aus Furcht vor Grimmoaldus gelangen konnte, um Verzeihung vor den Füßen des Königs bitten, und so ein sicheres Leben, wenn auch ohne Königswürde, die ihm eigentlich zukam, mit Anstand führen durfte. Als aber die Versöhnung vollständig erfolgt war, beschloß Grimmoaldus, nach einigen Tagen, weil er bösen Zungen allzuviel traute, den Portaticus selbst, mit dem er sich doch versöhnt hatte, am folgenden Tage zu ermorden, und befahl ihm Wein, der[130] ihn betrunken machen sollte, damit er auf keine Weise an seine Rettung denken konnte, vorzusetzen. Dietz blieb jedoch dem Onulphus, dem Ritter des Portaticus, nicht verborgen, weshalb er mit seinem Waffenträger in das Haus des Portaticus ging, daselbst seinen Schildknappen in dessen Schlafgemach ließ, den Portaticus aber in einer verdeckten Sänfte wie seinen eigenen Waffenträger mit Drohungen, Schimpfen und Schlägen aus dem Hause führte und in sein eigenes Haus brachte, obgleich die Wächter oder Trabanten des Königs vor dem Hause des Portaticus aufgestellt waren und meinten, der genannte Schildknappe des Onulphus sey betrunken herausgetragen worden. In derselbigen Nacht, zur Zeit des Hahnschreis, ließ aber Onulphus seinen geliebten Herrn, den Portaticus, von der Stadtmauer, an welche sein Haus stieß, an einem Seile hinab, der sich dann einige weidende Pferde einfing und nach der Stadt Asti floh, von wo aus er zum fränkischen König eilte. Wie nun am Morgen der genannte Onulphus und sein Schildknappe vom Könige festgehalten, und über die Art und Weise befragt wurden, wie sie ihren Herrn Portaticus befreit hätten, jene aber mit der einfachen Wahrheit antworteten, sprach der König zu seinen Räthen: welche Strafe verdienen die, welche also gegen unsern königlichen Willen gethan haben? Und da nun einer antwortete, man müsse sie hinrichten, der andere sie lebendig zu schinden, und ein dritter sie heimlich zu kreuzigen rieth, antwortete der König: bei dem, der mich hat geboren werden lassen, sage ich: diese Männer verdienen den Tod nicht, sondern jegliche Ehre, weil sie ihrem Herrn so treu gewesen sind. Also belohnte sie der König Grimmoaldus mit vielen Ehren und Geschenken, Genebaldus aber, der verrätherische Herzog der[131] Canimenter, ward durch die Hand des Waffenträgers seines ehemaligen Königs Godobert, dem er durch seine Verrätherei Krone und Leben geraubt hatte, am Feste Johannis des Täufers elendiglich aber mit Recht bei Turin umgebracht.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 130-132.
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