Dreiunddreißigste Geschichte

[28] geschah: Der Rebbe hat ein Höhl unter der Erden, die ging von seinem Haus bis an dem Kaiser Antoninus Haus. Da konnt man unter der Erd gehn, von des Kaisers Haus bis im Rebbe sein Haus. Denn der Kaiser ging alle Tag zu Rebbe lernen, im Geheimen. Un wenn so er nun wollt zu Rebbe gehn, da ging er unter der Erden, um daß es niemand sollt gewahr werden. Un allemal wenn er durch die Höhl ging, so nahm er zwei Knecht mit, denn er mucht nit allein gehn durch die Höhl. Un allemal hat er einen von den zwei Knechten getötet, wenn er vor dem Rebbe seine Tür kam, un den andern hat er getötet, wenn er wieder von Rebbe weg ging, daß er wieder durch die Höhl vor seine Tür kam, damit es kein Mensch könnt gewahr werden, daß er Thauroh lernt. Auf eine Zeit sprach der Kaiser zu Rebbe: »Lieber Rebbe, ich bitt dich, in der Zeit, daß ich komm zu dir lernen, so laß gar keinen Menschen bei dir sein.« Einmal kam der Kaiser zu Rebbe lernen, so gefindt er Rabbi Chanine bar Chome bei Rebbe lernen. Da derschrak der Kaiser gar sehr un sprach wider Rebbe: »Ich hab dir doch gesagt, in der Zeit, daß ich zu dir komm lernen, so sollst du gar kein Menschen bei dir haben. Un warum hast du es nit gehalten, un du hast da einen bei dir sitzen. Un du weißt wol, daß jetzunder mein Zeit is, daß ich zu dir komm lernen.« Da sprach Rebbe wieder zum Kaiser: »Das is kein Mensch nit, neiert ein Malach (Engel).« Da sprach der Kaiser wider: »Is er denn ein Malach, so laß ihn herausgehn un laß mir heißen den herein gehn, der vor der Tür liegt un schlaft.« Da meint er damit, den er vor der Tür hat getötet, er soll ihn wieder lebendig machen, um daß er wieder zu ihm herein kommt. Da ging Rabbi Chanine heraus. Da fand er, wie der Mann tot war. Da gedacht Rabbi Chanine: »Was soll ich dem Kaiser sagen, wie der Mann tot is? Man sagt nit gern eine böse Schmue (Nachricht). Soll ich denn wieder weg gehn un soll den Toten liegen lassen un soll dem Kaiser niks wider sagen? So verschwäch ich seine Würde.« Da tät Rabbi Chanine Tefille (er betete), daß der Mann wieder lebendig ward. Un der Mann ging wieder herein zum Kaiser. Da derschrak der Kaiser gar sehr un sagt: »Ich weiß wol, daß ihr mit euerer Tefille (Gebet) könnt einen wieder lebendig machen, gleich wie Rabbi Chanine auch getan hat mit diesem Mann. Noch gleichwol bitt ich dich, wenn ich zu dir komm, laß niemand bei dir sein.« Un alle Tag dient der Kaiser Rebbe zum Tisch mit Essen un Trinken. Un wenn Rebbe wollt in sein Bett steigen, so buckt sich der Kaiser, daß Rebbe konnt auf ihn steigen, um daß er besser in sein Bett könnt kommen. Un der Kaiser sagt wider Rebbe: »Steig auf mich, daß du in dein Bett kannst kommen.« Da sagt Rebbe wider den Kaiser: »Das soll nit sein, denn das is kein Seder (Sitte), daß man einen Kaiser verschmähen[29] soll.« Da sprach der Kaiser wider: »Lieber Rebbe, wollt Gott, ich sollt sein dein Knecht un ein Schemel zu deinen Füßen auf Jener Welt.« Er fragt auch, der Kaiser: »Lieber Rebbe, werd ich auch Anteil an Jener Welt haben?« Da sagt Rebbe: »Ja.« Da sagt der Kaiser wider: »Es steht doch geschrieben, es wird nicht sein eine Überbleibung von dem Gesinde von Esau?« Da sprach Rebbe: »Das meint so, daß wer die Taten von Esau tut.« Da sagt der Kaiser wider: »Es steht doch geschrieben, all ihre Könige un alle ihre Mannen un ihre Fürsten un Herzöge, sie werden verwüstet werden.« Da sprach Rebbe wider: »Das meint ihre Könige, ein Teil von ihren Königen, aber ausgenommen Antoninus Sohn Assverus un ihre Mannen un ausgenommen Ketie, bar Scholem, der hat sich auch megajer gewesen (bekehrt).« Wir haben gelernt, daß sich Kaiser Antoninus Sohn Assverus auch hat bekehrt vor seinem Tod.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 28-30.
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