Neununddreißigste Geschichte

[34] geschah: Einer der hieß Abe Umne, dem kam alle Tag ein Stimm vom Himmel. Un zu Abaje kam auch ein Stimm von dem Himmel von einem Erew Schabbes (Freitag) zum andern Erew Schabbes. Un zu Rowe kam alle Erew Jomkipur (Vorabend des Versöhnungstages) ein Stimm von dem Himmel herab. Das gefiel dem Abaje gar übel un tät ihm weh, daß die Stimm vom Himmel mehr kommen zu Abe Umne als zu Abaje. Da sagten die Leut zu dem Abaje: »Du kannst nit so viel Gutes tan als der Abe Umne.« Was waren nun die Werke von dem Abe Umne? Er war ein Aderlasser un hat zu die Mannen ein besunder Cheder (Zimmer), wenn er ihnen wollt zu der Ader lassen, un hat zu die Weiber auch ein besunder Cheder, wenn er sie wollt zu der Ader lassen. Un er hat auch ein besunder Kleid zu die Weiber, das er sie antut, wenn er sie zu der Ader laßt, derwegen daß er die Weibern ihren bloßen Leib nit sieht. Un auch hat er ein Biks an der Wand hängen, da werft ein jeglicher sein Lohn selbert drein, wenn er einem Ader gelassen hat. Das tät er auch darum, daß er keinen wollt becharpe machen (beschämen). Denn es kam oft, daß einer hat zu der Ader gelassen un hat kein Geld nit. Un wenn er hätt ihm sollen Geld anheischen, so wär er becharpe (beschämt) geworden. So sprach er zu einem, wenn er Ader gelassen hat: »Werf deinen Lohn dorten in jene Biks«, damit daß er's nit sehen wollt ob einer Geld drein warf oder nit. Hat einer kein Geld, so tät er gleich, als er möcht Geld drein werfen, damit er nit becharpe werd. Und wenn ein Talmidchochom (Schriftgelehrter) kam, der da zu der Ader wollt lassen, da nahm er kein Geld von ihm. Un wenn er wollt wieder hinweg gehn, da gab er ihm Geld darzu in Beutel un sagt zu ihm: »Geh hin un kauf dir darum eppes (etwas) Gutes zu essen, damit daß du dich wieder stärkst un frisch Geblüt wieder kriegst.« Auf der Zeit da schickt der Abaje zwei Rabbonim zu Abe Umne un wollt ihn versuchen, ob er so fromm war mit anderen Dingen. Da sie nun zu ihm kamen, da gab er ihnen zu essen un zu trinken un tät ihnen viel Kibudim (Ehren) an, als sie wol wert sind gewesen. Un legt sie in ein gut Bett un deckt ihnen viel gute Kleider über. Da es nun wieder Tag ward, da stunden die zwei Rabbonim früh auf un nahmen viel gute Kleider mit ihnen hinweg. Un da sie auf dem Markt gingen, da sahen sie den Abe Umne. auf dem Markt gehn. Da gingen sie zu ihm un sagten zu ihm: »Lieber, schätz du uns die Kleider, was sie wert sind.« Er schätzt sie um ein Geld, das sie wol wert sind. Da sprachen sie zu ihm: »Vielleicht sind sie minder wert als[34] du sie hast geschätzt.« Da sagt er zu ihnen: »Um das Geld, wie ich sie geschätzt hab, so wollt ich sie drum kaufen.« Da sprachen die Rabbonim wider zu Abe Umne: »Nimm hin deine Kleider, sie sind vorhin dein.« Un sagten die zwei Rabbonim zu ihm: »Lieber, sag du uns, was hast du uns chausched gewesen (verdächtigt), da wir die Kleider haben mit uns hinweg genommen?« Da sprach er: »Ich hab gedacht, ihr hätt' gefangene Leut, da wollt ihr sie mit auslösen un habt euch geschämt, daß ihr mir eppes sollt anheischen.« Da sprachen sie: »Nehm die Kleider wieder.« Da sagt er: »Ich hab sie gleich hekdesch gemacht (zu gutem Zweck verschenkt). Un wollt sie nit wieder nehmen. Dem Rowe tät weh, daß zu Abaje minder die Stimm kam als zu ihm. Denn zu Abaje kam alleErewSchabbes die Stimme vom Himmel un zu Rowe alle Erew Jomkipur.« Da wird dem Rowe ein Cholem (Traum) gewiesen un ward ihm gesagt: »Du darfst (brauchst) dich derhalben nit mezaar sein (kränken), denn es is genug, daß du mit deinem Sechus (Verdienst) auf eine ganze Stadt beschirmst un darum brauchst du dich nit kränken.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 34-35.
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