Zweiundfünfzigste Geschichte

[45] Es geschah einmal ein Ding, daß der ganze Chaudesch (Monat) Adar ausging un es wollt nit regnen. Da gingen die Chachomim (Weisen) zu Choni hamagel, daß er sollt den Heiligen, gelobt sei er, bitten, daß es regnen sollt. Denn der selbige Choni hamagel, der war ein köstlicher Mann un er war gewohnt vor dem Heiligen, gelobt sei er, als wie ein Hausknecht bei einem König. So gar gewöhntlich war er, daß er vor dem Heiligen, gelobt sei er, bittet, daß es regnen sollt, oder sonst wenn eppes (etwas) zu bitten war, zu dem Heiligen, gelobt sei er. Da ging er hin un backt einen Kuchen, un stellt sich drein. Das war eben gemacht, als wär er in einem Tefisse (Gefängnis) un peinigt sich damit, alswie wir auch gefinden bei dem Propheten Chawakik, wenn er wollt zu Gott bitten, so macht er so einen Kuchen un stellt sich drein un tät Tefille (beten). Damit, daß er seinen Leib auch peinigt, drum tät er auch so einen Kuchen machen. Un hebt an un tät beten un sagt: »Herr all der Welt, dein Volk Jisroel die tunen ihr Augen auf mich. Wenn sie eppes bei dir auszurichten haben so schicken sie zu mir un ich muß beten für sie gegen deinen heiligen Namen. Denn sie halten mich eben als wenn ich dein Sohn wär. Un du versagst mir kein ßitt nit. Da beschwör ich dich jetzunder bei deinem heiligen geachtbarten Namen, daß du mich willst derhören un willst deinem Volk Jisroel lassen regnen. Un willst dich über sie derbarmen, damit sie nit möchten Hunger sterben.« Da huben die Himmel an linsum (langsam) zu tropfen. Da sagten die Talmidim (Schriftgelehrten), die zu ihm geschickt waren: »Lieber Rabbi, wir sehen das wol, daß es ein wenig anfangt zu tropfen, aber wir müssen doch sterben, denn der Regen helft uns niks. Denn es dünkt uns, der Regen is niks mehr gekommen als um deine Schwue (Schwur) wahr zu machen, derweil du Gott beschworen hast, daß er muß lassen regnen.« Da sprach Choni hamagel: »Ich hab nit anderst von dem Heiligen, gelobt sei er, gebeten, nur daß er soll uns einen Regen geben, daß all die Gruben un alle die Brunnen derfüllt sollen werden.« Da hub es an zu regnen gar stark, un fallen große Tropfen, daß ein jeglicher Tropfen so groß war als wie ein Spundloch von einem Faß un die Rabbonim haben die Tropfen gemessen, daß ein jeglicher Tropfen ein Maß hat gehalten. Da sagten die Talmidim wieder: »Lieber Rabbi, wir sehen wol den Regen, aber wir ferchten uns doch, daß wir werden müssen sterben, denn es dünkt uns, daß der Regen geht anders nieder von Gott, als die Welt verlieren zu machen. Weil es so gar stark regnet.« Da sagt er wider: »Lieben Talmidim, ich hab nit anders Tefille getan (gebetet) vor Gott, als auf einen Regen, der eitel ßroche (Segen) un eitel Rozaun (Gnade) soll sein.« Da hebt der Regen an zu gehen, wie der Seder (die Regel) von dem Regen is, bis jedermann[46] mußt aus Jeruscholajim heraus gehn un mußt aufgehn in Har habajis (Tempelberg) vor dem Regen. Da sagten sie wieder: »Lieber Rabbi, sowol wie du hast für uns Tefille getan (gebetet), daß es regnen soll, so tu auch wieder Tefille, daß es soll aufhören zu regenen.« Da sagt er wieder: »Mein lieben Talmidim, so hab ich es empfangen von meinen Rabbonim (Lehrern), daß man Tefille tun soll um das, was am meisten gut is. Un warum das? Seht, der Regen is gut für das meiste Volk. Gleichwol, sprach der Choni hamagel, bringt mir her eine Kuh, ein Dankopfer, das ich vor Gott bringe, derweil ich ihn so viel bemühen tu, so will ich wieder Tefille tun. Also bracht man ihm einen Stier.« Da ging er hin un stellt es vor den Heiligen, gelobt sei er, un legt seine zwei Händ darauf un hub an: »Herr all der Welt, dein Volk Jisroel, die du hast ausgezogen von Mizrajim (Egypten), die können nit leiden, wenn du ihnen zu viel Gutes tust, un können auch nit leiden, wenn du ihnen zu viel Böses tust. Zürnst du über sie, so können sie nit bleiben bestehn; tust du ihnen eine Tauwe (Woltat) so können sie auch nit bleiben bestehn. Es soll sein der Willen vor dir, daß die Regen soll diesen Mal aufhören, daß wieder Menuche (Ruhe) in der Welt soll sein.« Alsobald hebt der Wind an zu wehen un verspreitet die Wolken von dem Himmel un die liebe Sonne fangt wieder an zu scheinen. Da ging das Volk wieder auf das Feld un brachten mit sich heim Schwammen un Fiferlinge, die da waren gewachsen von dem Regen. Da sahen die Jisroel wol, daß der Regen war eitel von Broche (Segen) gewesen, wie sie es begehrt haben von Choni hamagel. Da schickt Schimen ben Schotach zu Choni hamagel un sagt: »Wenn du nit so ein köstlicher Mann wärst, so wollten wir dich in Cherem (in Bann) tan, derweil du so gar oft den Heiligen, gelobt sei er, bemüht hast, un hast seinen heiligen Namen sehr geschwächt. Aber was sollen wir tun? Der Heilige, gelobt sei er, hat dir deinen Willen getan. Du bist bei dem Heiligen, gelobt sei er, als wie ein Sohn, der da sündigt vor seinem Vater, un der Vater tut ihm doch seinen Willen.« Un wenn der Sohn spricht wider den Vater: »Lieber Vater, führ mich in das warme Bad«, so führt ihn der Vater. Un dernach spricht er wieder: »Lieber Vater, schwenk mich ab im kalten Wasser«, da tut es der Vater auch. Dernach spricht er wieder: »Lieber Vater, gib mir Nussen, gib mir Mandlen, gib mir Obst, gib mir Milgroim (Granatäpfel)« un der Vater gibt ihm alles, wenn schon er vor ihm gesündigt hat. Un so bist du auch vor dem Heiligen, gelobt sei er. Du hast ihn gar oft gemüht un hast vor ihm gesündigt un der Heilige, gelobt sei er, der hat dir doch deinen Willen getan un auf dich ist der Posuk (Vers): »Es soll sich freuen dein Vater un deine Mutter un es soll sich freuen, die dich hat gewonnen (geboren).«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 45-47.
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