Dreiundsechzigste Geschichte

[55] geschah: Abaje sagt: »Ich hab mit dem ersten (zuerst) gemeint man soll sich derhalben unter kein Wasserrinn setzen, denn das Wasser möcht auf ihn herabrinnen. Aber es is darum nit. Sondern ich hab gehört, daß es eine große Sakone (Gefahr) is drunter zu sitzen, von wegen die Schedim (böse Geister), die haben ihre Wohnung unter der Rinn. Denn es waren einmal zwei arme Männer, die pflegten alle Dinge um den Lohn zu tragen an einer Stangen. Einstmal da tragen sie ein Faß mit Wein an der Stangen un wollten ein wenig ruhn un stellten das Faß hernieder auf die Erd unter ein Rinn. Da zerbrach das Faß mit Wein an der Stangen un der Wein der lauft als auf die Erd.« Da gingen sie hin zu Reb Asche, der war eben Rosch Jeschiwe (Vorsteher im Lehrhaus). Da gedacht Reb Asche gar wol, daß es die Schedim (Dämonen) hätten getan un ließ ein Cherem (Bann) ausgehn: Welcher es getan hat, der soll kommen un soll es sagen. Also kommt der Sched (böse Geist) der es getan hat. Da sprach Reb Asche zum Sched: »Sag her, weshalben hast du den zwei armen Leut das Faß mit Wein zerbrochen?« Da sprach der Sched wider: »Derhalben, daß sie mir das Faß mit Wein auf mein Ohr gesetzt haben, denn ich hab eben da geschlafen.« Da sprach Reb Asche wieder zu ihm: »Warum hast du dich gelegt eben auf so einen Ort, wo die Leut pflegen hinzugehn? Darum geh un bezahl ihr Faß mit Wein, daß sie nit über dich klagen.« Da sprach der Sched: »Lieber Rabbi, gib mir ein Zeit zu der Bezahlung.« Da setzt ihm der Rabbi ein Zeit. Nun die Zeit kam un der Sched kommt nit, daß er sollt die zwei Leut bezahlen. Un nach dem Sman (Zeit) kam er doch. Da frägt Reb Asche: »Warum bist du nit gekommen auf deine Zeit, die ich dir gesetzt hab?« Da sprach der Sched: »Das will ich euch sagen, warum daß ich nit kommen bin. Denn alles was gezählt un versiegelt un zugeknüp(f)t is, da hat[55] kein Sched kein Gewalt darüber, um was zu nehmen, bis einer gefind, was nit gezählt oder versiegelt oder zugeknüp(f)t is. Derhalben hab ich mich mit der Abzahlung so lang gesäumt.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 55-56.
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