Neunundneunzigste Geschichte

[90] geschah: Es war einmal krank Rebben Gamliel sein Sohn. Da schickt er zwei Talmidimchachomin (Talmudschüler) zu Rabbi Chanine ben Dumah, daß er doch sollt Tefille tun (beten) für seinen Sohn, daß er möcht leben bleiben. Wie der Rabbi Chanine die zwei sah, da lauft er flugs hinauf auf den Boden un tät Tefille für ihn, daß ihm die Hitz sollt vergehn. Dernach ging er wieder herab un sagt wider die zwei: »Geht wieder heim, es is schon besser mit ihm geworden. Die Hitz is ihm vergangen.« Da sagten sie wider ihn: »Wer will dir's sagen? Bist du denn[90] ein Nowi (Prophet)?« Da sagt er: »Nein, ich bin kein Nowi un bin auch keinem Nowi sein Sohn. Neiert ich hab so gelernt von meinem Vaters Vater, wenn einer seine Tefille tut unangestoßen, so wird seine Tefille gehört. Un meine Tefille is mir recht nacheinander gegangen, derhalben is sie mir gehört worden.« Da schrieben sie die Zeit auf, wie er hat gesagt, es wär besser, nun mit ihm. Un wie sie nun heim kamen, so sagten sie wider Rabbi Gamliel, wann ihm die Hitz hätt aufgehört un weisen ihm aufgeschrieben. Da schwor Rabbi Gamliel bei der Awaudah (so wahr ich Gott diene) in der selbigen Zeit hätt ihm die Hitz aufgehört, un hat geheißen man soll ihm trinken geben.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 90-91.
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