Hundertfünfzehnte Geschichte

[106] geschah an Rabbi Nachmen seine Töchter, die schaumten allezeit die Töpfe mit den Händen ab. Da meinten die Leut sie täten es von Frommkeit wegen. Da fragte Rabbi Elusch: »Es steht doch geschrieben, ein frommer Mann unter tausend, den gefind man wol, aber eine Frau unter alle Weiber da gefind man keine.« Un da sieht man doch ja, daß Rabbi Nachmen seine Töchter gar frumm sind. Nun, es begab sich einmal, daß die Töchter von Rabbi Nachmen gefangen waren unter die Kusim (Kuthäer). Un der Rabbi Elusch war auch gefangen mit ihnen. Es geschah auf dieselbige Zeit, da saß ein Mann bei ihnen auch gefangen, der konnt allerlei Sprach verstehen. Un die Sprach von die Vögel könnt er auch verstehn. Da kam ein Kräh zu fliegen un schreit Krahkrah, gleich wie die Krähen pflegen zu schreien. Da frägt Rabbi Elusch: »Was meint die Kräh mit ihr Schreien?« Da sprach der Mann, der die Sprach verstund: »Die Kräh schreiet auf dich un sagt: ›Elusch flicht‹, das meint, du sollst Pleite machen (fliehen), es wird dir noch wol gehn.« Da sprach Rabbi Elusch: »Eine Krähe sagt gern Scheker (Lüge). Ich will ihr nit glauben.« Dernach kam ein Taub un schrie auch, gleich ein Taub pflegt zu schreien. Da frägt Rabbi Elusch den Mann, der die Sprach verstund: »Was meint die Taub mit ihr Schreien?« Da sagt der Mann: »Die Taub sagt auch Elusch soll flüchten.« Da sagt Rabbi Elusch, die Taub is kein Schakern (Lügnerin), denn Kenesses (Gemeinde) Jisroel sind geglichen zu einer Tauben. Es wird mir gewiß ein Ness (Wunder) geschehen. »Ich will flüchten.« Un ging hin un sagt: »Ich will einmal sehen ob Rabbi Nachmen seine Töchter auch in ihr Frommkeit bestehn bleiben, derweil sie jetzunder unter die Umaus (fremde Völker) gefangen sind. Un ich will ihnen sagen, daß sie auch flüchten sollen. Dann werd ich sehen ob sie frumm sind. Werden sie sich flüchten, dann sind sie für gewiß frumm. Wenn sie aber unter Umaus wollen bleiben, so sind sie gewiß nit frumm.« Un wie nun Rabbi Elusch wollt zu ihnen gehn, da waren sie beide auf dem Bethhakisse (Abtritt) beieinander. Da sagt Rabbi Elusch: »Alle die Weiber reden die Saudes (Geheimnisse) auf dem Bethhakisse.« »Da hört Rabbi Elusch wie sie miteinander reden: ›Wir wollen nit flüchten. Unsere Mannen sind doch nit bei uns. Un wenn uns die Gojim (Christen) was tun wollen, so wollen wir sie nehmen, wiewol daß wir in Erez Jisroel Mannen haben. So wollen wir sagen, daß unsere Mannen gar weit von uns sind, un daß sie uns nit werden lösen.‹« Da das Rabbi Elusch hört, da macht er un der Mann, der allerlei Sprach verstund, Pleite (flohen). Zu dem Rabbi Elusch geschah ein Ness (Wunder), daß er über das Wasser heim kam bescholaum (glücklich). Un den Mann haben sie derwischt un haben ihn getötet. Un die Töchter von[107] Rabbi Nachmen kamen auch wieder im sie schaumten die Töpfe wieder. Da konnt Rabbi Elusch wol gedenken, daß sie alles mit Kischuf (Zauberei) täten. Un auch hatten sie es ja gehört von dem Fliehen. Un Rabbi Elusch hat sie doch auf dem Bethhakisse miteinander reden hören, was für Znuaus (züchtige Frauen) sie gewesen sind.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 106-108.
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