Hundertdreiunddreißigste Geschichte

[124] geschah an einem Chossid, der ging über Feld un da es Zeit war zu oren (beten) da ort er auf dem Feld. Un wie er so stund un ort, da kam daher zu reiten ein Hegmon (Statthalter). Un der Hegmon der grüßt den Chossid. Un der Chossid der dankt dem Hegmon nit un schwieg still. Da wartet der Hegmon bis der Chossid ausgeort hat. Da sagt der Hegmon wider den Chossid: »Sag an du Bösewichter, da ich dir hab zugesprochen, warum hast du mir nit geantwortet? Wenn ich jetzunder möcht hingehn un schlagte dir dein Kopf ab, wer wollt mir eppes drum tan?« Da sagt der Chossid: »Mein Herr, ich bitt' dich, wart mir, ich will euch wol antworten«, un hebt an: »Lieber Herr, wenn ihr da stund vor einem König, der neiert Blut un Fleisch wär, un redet mit ihm, un es käm ein anderer, un spräch euch an, sollt ihr ihm wol ein Antwort geben?« Da sagt der Hegmon: »Nein, ich werd ihm nit antworten.« Da sagt der Chossid: »Wenn du ihm hättest aber ja geantwortet, was sollt dir darum geschehn?« Da sagt der Hegmon: »Ich sollt mich müssen ferchten, der König sollt mir mein Kopf darüber abschlagen.« Da sagt der Chossid: »Nun sieh mal doch, wenn du wärst gestanden bei einem König, der neiert Blut un Fleisch is, der heunt lebendig is un morgen tot is, noch gleichwol hätt er dir dein Kopf lassen abschlagen, mikolscheken (um wieviel mehr) ich bin da gestanden vor dem König, der is geheißen ein König über alle Könige, der da kein Fleisch noch Blut is, un der da ewiglich lebt un schwebt, nit vergänglich[124] is, wie sollt ich dir denn geantwortet haben? Denn ich hätt mich doch müssen ferchten, wenn er wär zornig geworden, so hätt er mich getötet.« Wie nun das der Hegmon hört, daß ihm der Chossid so wol geantwortet hat, da war er wieder zufrieden mit dem Chossid un sagt zu ihm: »Du hast mir gar wol geantwortet.« Un so ging der Chossid wieder mit Frieden heim in sein Haus. Derhalben soll ein jeglicher Jehude seine Tefille (Gebet) mit Kewone (Andacht) tan, so kommt nix Böses dervon.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 124-125.
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