Hunderteinundvierzigste Geschichte

[133] geschah: Es gingen einmal drei Mannen über Feld an einem Erew Schabbes (Freitag). Un es war spät, daß schier Schabbes sollt sein. Da sprach einer wider den andern: »Was wollen wir tun? Der Wegis sehr gefährlich mit (Gaslonim Räubern,) un auch viel böse Tiere laufen in dem Wald. Es is viel besser, daß wir fort gehn un kommen vom bösen Weg, damit daß wir unser Leben können retten, weder (als) daß wir sollen den Schabbes hüten un sollten hie bleiben, un die Gaslonim un die bösen Tiere kommen un töten uns.« Da war einer unter ihnen, der sprach: »Ich will nit von hinnen weichen bis Schabbes ausgeht, un will nit mechallelschabbes sein (den Sabbath entweihen), denn der Heilige, gelobt sei er, hat selbst den Schabbes geboten, daß wir ihn halten sollen. Derhalben will ich nit von hinnen weichen, bis Schabbes ausgeht un will den Schabbes nit entweihen. Denn der Heilige, gelobt sei er, kann mich gleichwol behüten vor allem bösen.« Die andern zwei gingen fort, un entweihten den Schabbes. Un der eine blieb da allein un wollt nit den Schabbes entweihen. Un schlug da auf sein Gezelt in dem Feld un richtet seinen Tisch. Un macht Schabbes. Un wie er nun essen wollt, da kam ein großer Bär, der sein Lebtag keinen Menschen hat (ge)recht gesehen. Un der Bär, der setzt sich neben den Chossid (frommen Mann). Un wie der Chossid den Bären sah, so gab er ihm ein Stück Brot zu essen. Un der Bär eßt mit ihm. Un der Chossid fercht sich nix vor ihm. Un da nun der Chossid gessen hat, da benscht (betet) er, un legt sich nieder schlafen. Un der Bär legt sich auch bei ihm nieder un schluf auch. Un wie nun der Chossid entwacht, da sah er den Bären bei sich liegen. – Da war er froh, daß der Bär ihm nix getan hat, un lobt dem Heiligen, gelobt sei er, seinen heiligen Namen, daß er ihn beschirmt hat von dem Bären. Zu morgens ort (betet) der Chossid wieder un richtet dernach seinen Tisch un eßt. Un der Bär eßt auch wieder mit ihm, un zu Minche (Nachmittagsgebet) eßt er Schal'schudes (drittes Sabbathmahl). Un wie nun Schabbes aus war, da ort er Maariw (Abendgebet) un macht Hawdole (Gebet zum Sabbathausgang) un ging dernach vor sich seiner Straß. Un der Bär ging auch mit ihm sein Straß dieselbige Nacht. Un in derselbigen Nacht gingen Gaslonim in dem Wald un fanden die zwei Mannen un nahmen all ihr Gut weg. Indem kam der Chossid auch derzu mit dem Bären. Un wie der Bär sah die zwei Mannen, die da hatten den Schabbes entweiht, da sprang er auf sie mit großem Zorn un zuriß sie alle beide. Wie nun das der Chossid sah, da derschrak er gar sehr, denn er fercht sich seiner auch. Un dieweil kommen auch die Gaslonim un fragten ihn: »Wer bist du?« Da sagt er: »Ich bin ein Jud«, denn er wollt sich für keinen Jud verleugnen, denn er vertrauet sich zu dem Heiligen,[134] gelobt sei er, der ihn beschirmt hat vor den Bären, der wird ihn auch beschirmen vor den Gaslonim. So sprachen sie: »Wo kommst du her?« Da sagt er: »Ich komme vom Haus des Königs.« Da sagten sie: »Von wannen kommt der Bär her oder wer hat dir den Bär gegeben?« Da sagt der Chossid: »Der König hat mir ihn mitgegeben, daß er mein Geleitsmann soll sein, daß mir keiner nix soll tan.« Da sagt einer wider den andern: »Wie gar lieb muß der König den Mann haben, daß er ihm den Bären mitgegeben hat zu einem Geleitsmann.« Da sprach der andere: »Vielleicht wird er uns verraten, wie wir Räuber sind un der König möcht uns lassen hängen. Wir wollen ihm all unser Geld geben, damit daß er neiert möcht still schweigen.« Un also gaben sie ihm all das Mammon, daß er sie nit sollt vermassern (verraten) un beleiteten ihn heim in sein Haus. Un wie nun der Chossid schier heim kam in sein Haus, da ging der Bär wieder seiner Straß von ihm weg. Derhalben soll ein jeglicher den Schabbes halten in acht, so wird der Heilige, gelobt sei er, vor ihm halten die Wacht. Der kann euch doch wol beschirmen vor Gaslonim un bösen Tieren, wie ihr in dieser Maasse (Geschichte) hätt tan gar wol merken un spüren. Un soll sich nit lassen verführen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 133-135.
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