Hundertvierundvierzigste Geschichte

[136] geschah an Rabbi Meir, der wohnt in Babel un alle Jahr ging er auf gen Jeruscholajim. Un unterwegen war er allemal in der Herberg bei einen Kazew (Metzger) der heißt Juda. Un der Juda hat ein frommes Weib, die tät dem Rabbi Meir großen Kowed (Ehre) an,[136] wenn er zu ihr kam. Denn er war ein köstlicher Mann, gleichwie von ihm auch hören in der Gemore. Sie hielt ihn wol mit Essen un Trinken, un sie hielt ihm auch ein eigen Bett un alles was er bedarft. Nun, es begab sich, daß die gute Frau starb un der Kazew nahm eine andere Frau. Also befehlt er an die Frau, wenn Rabbi Meir wird kommen, also soll sie ihm auch große Ehr antun, gleich sein erstes Weib auch an ihm getan hat. Nun, es begab sich, daß Rabbi Meir wieder kam gleich alle Jahr sein Gewohnheit war. So ging er in seine Herberge bei dem Kazew gleich sein Seder (Gewohnheit) war. Da sah er wie eine andere Frau drinnen war, die er nit kennt. Da frägt Rabbi Meir: »Wo is dem Baalhabajis (Hausherrn) sein Weib?« Da antwortet sie ihm: »Sie is all lang gestorben, un der Kazew hat mich genommen zu einem Weib. Aber er hat mir befohlen, wenn da wird kommen Rabbi Meir, da soll ich ihn gar wol ehren, un soll ihn gar freundlich empfangen.« Un das wollt sie gern tun, ja mehr als die erste Frau getan hat. Wie nun der Rabbi Meir hört, daß die erste Frau gestorben war, da ging er aus dem Haus, war sich sehr mezaar (un grämte sich gar sehr) um seine gute Wirtin, daß sie gestorben war. Wie er nun so stund, da kam der Kazew un fand den Rabbi Meir vor seiner Tür stehn. Da empfängt ihn der Kazew un sagt ihm: »Lieber Rabbi, warum geht ihr nit in mein Haus, wie euere Gewohnheit is? Un wie kommt das, daß ihr nun haußen vor meiner Tür steht? Ich hab doch meiner Frau befohlen, daß sie euch wol halten soll, gleich euch mein erstes Weib gehalten hat.« Da ging Rabbi Meir mit ihm in sein Haus hinein. Da ging die Frau un holt, was sie bedarft im Haus, un macht für den Rabbi Meir eppes zu essen un gab ihm gute Getränk. Un tät ihm guten Kowed (Ehre) an mich mit allen Dingen. Nun, der Rabbi Meir war ein hübscher Mann. Un dem Kazew sein Weib kriegt eine große Lust zu ihm un hat ihn gar lieb un wußt aber nit wie sie tan sollt, daß er sollt bei ihr liegen. Es geschah einmal auf eine Nacht, daß niemand derheim war. Da macht die Frau für Rabbi Meir gute Speis un sie bewies ihm große Ehr. Un sie trank mit ihm so lang bis er trunken war, daß er nit wußt was er tät. Un die Frau ließ ihn schlafen gehn un sie legt sich bei ihm, daß er es nit gewahr wird in ihrem Beiliegen oder in ihrem Aufstehn. Zu morgens, da er nun aufstund, da tät er seine Tefille (Gebet) gleich seine Gewohnheit war. Un wie er nun seine Tefille aus getan hät, so richtet ihm die Wirtin den Tisch un sie eßt un trinkt mit ihm un trieb viel Aseskeit (Frechheit) mit Worten über den Tisch. Da das Rabbi Meir sah, da verwundert er sich gar sehr über die Frau, daß sie so gar ases (frech) war, un er schämt sich vor ihr un wollt sie nit ansehen. Da sprach die Frau: »Lieber Rabbi, warum schämt ihr euch itzundert alsosehr, habt ihr doch heut die ganze Nacht bei mir gelegen un ihr habt euch doch nit geschämt? Un warum schämt ihr euch itzundert[137] so gar sehr?« Da das der Rabbi Meir hört, da derschrak er gar sehr. Un sagt: »Das is wahrlich nit geschehen.« Da sagt die Frau zu Rabbi Meir so viel Simonim (Zeichen), die er an seinem Leib hat, daß er ihr glauben muß. Wie er nun das hört, daß es, Gott behüte, wahr is, da fangt er gar jämmerlich an zu schreien, un was sich sehr mezaar un sagt: »Ach, weh mir, was hab ich getan? Wo hab ich meine Thauroh un all meine Mizwes (Gebote), die ich mein Tag getan hab, un da ich mein Tag viel darüber gearbeitet hab, das hab ich nun als verloren un muß nun in Gehinnom (Hölle) darum leiden. Un sagt ich will gehn zum Rosch Jeschiwe (Erster des Lehrhauses) un will ihm meinen Kummer klagen. Un was er mich heißen wird, um die Awere (Sünde) zu büßen, das will ich gern tun.« Un ging heim mit großer Klag. Un seinen Mantel hat er zurissen un Erd auf seinen Kopf gestreut. Da kam all sein Gesind un fragten ihn, was ihm geschehen war. Da sagt er ihnen die Schmue (die Geschichte) wie es ihm war gegangen. Da derschrak das Gesind gar sehr un fragten ihn, was er hätt im Sinn zu tun. Da sagt er: »Ich will gehn zum Rosch Jeschiwe un will ihm's sagen. Un alles was er mich wird heißen, das will ich tun.« Da verwehrten ihm all sein Gesind, er sollt es lassen bleiben, weil er's ja nit hätt getan mit gutem Willen, un kein Wort davon gewußt hat, da wird es ihm der Heilige, gelobt sei er, vergeben. Doch wollt er's nit tan un ging zum Rosch Jeschiwe un sagt es ihm, wie es ihm ergangen is mit der Frau. Derhalben wollt er Tschuwe (Buße) haben von ihm. Da sprach der Rosch Jeschiwe: »Komm morgen wieder, so will ich dir suchen dernach was deine Tschuwe (Buße) is.« Zu morgens kam der Rabbi Meir wieder. Da sagt der Rosch Jeschiwe: »Ich hab dernach gesehen, un hab gefunden, daß dich die wilden Tiere sollen essen. Das is der Din (Urteil) den du verdient hast.« Da sagt Rabbi Meir: »Wenn der Din so is, so will ich es gern auf mich nehmen.« Alsobald gebot der Rosch Jeschiwe zwei starke Mannen, daß sie den Rabbi Meir in einen wilden Wald sollten führen, da böse Tiere drinnen sein, un sollten ihn an einen Baum binden. Un sie sollten auch auf einen hohen Baum steigen, un sollten sehen, wie es mit ihm abging, ob ihn die wilden Tiere werden aufgegessen haben, so sollten sie ihm die Beine bringen. So wollt er um ihn klagen, weil er hat auf sich genommen Din Schomajim (himmlisches Gericht). Also führten sie ihn in einen Wald, gleich der Rosch Jeschiwe hat geheißen un banden ihn an einen Baum. Un in der Mitternacht da kam ein großer Löw un brummt un riecht an ihm un ging wieder hinweg. Da sagten die zwei Mannen dem Rosch Jeschiwe wie ihm der Löw nix getan hat. Da sagte der Rosch Jeschiwe, man soll ihn noch eine Nacht da gebunden lassen. Die andere Nacht, da kam der Löw wieder un wendet den Rabbi Meir auf die andere Seit un ging aber[138] wieder hinweg seiner Straß. Da sagten sie es dem Rosch Jeschiwe wieder, wie der Löw war wieder die Nacht gekommen un hätt ihm aber nix getan. Da sagt der Rosch Jeschiwe, man soll ihn noch die dritte Nacht lassen gebunden. Die dritte Nacht kam der Löw wieder un beißt Rabbi Meir eine Rippe aus seinem Leib, un aß nix mehr dervon als ein Oelbeer (Olive) groß un ließ ihn liegen. Da nahmen die zwei Mannen den Rabbi Meir un brachten ihn vor den Rosch Jeschiwe. Da ließ man ihn wieder heilen. Un wie nun Rabbi Meir heim kam in sein Haus, da kam ein Stimm vom Himmel un sagt: »Rabbi Meir, du bist bereitet für Jene Welt.« Derhalben sagt die Schrift: »Ein böses Weib das is bitterer als der Tod.« Derhalben seht, was dem Rabbi Meir is geschehen, wiewol daß er kein Wissen dervon gehabt hat. Um wie viel mehr, wenn einer, Gott behüte, die Awere (Sünde) mit Bedacht getan hat. Derhalben ihr lieben Leut, soll sich ein jeglicher vorsehen, daß es ihm, bewahre, nit soll geschehn.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 136-139.
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