Hundertfünfundneunzigste Geschichte

[221] geschah: Es war einmal ein Chossid, der hat einen schönen Acker. Un auf dem Acker, da stund ein schöner Baum. Un aus dem Baum machten die Kutäer einen Götzendienst un opferten in den Baum viel Geld. Nun alles, was der Chossid säet auf dem Acker, das verdarben die Kutäer. Einmal sagt der Chossid wider sein Weib: »Wie kommt es, daß uns unser Acker so beschädigt wird, un wir versehen den Acker gar wol mit Mist?« Einmal begab es sich, daß der Chossid auf dem Feld spazieren ging. Da sah er, wie die Kutäer bei dem Baum spielten un tanzten. Da gedacht der Chossid, jetzundert seh ich wol, warum mir mein Acker so mechule (verdorben) wird. Un ging stracks heim un holt eine Hacke un wollt den Baum abhacken. Un sagt es seinem Weib. Da sagt sie: »Mein lieber Mann, derweil du es ja gesehen hast, so hack ihn ja ab, damit daß wir unsere Ernte nit gar verlieren.« Da nahm der Chossid ein Hack un ging zu dem Baum un wollt ihn abhacken. Da sprach der Baum zu dem Chossid: Das war ein Sched (Geist) der redet: »Lieber, laß mich stehn. Du sollst alle Morgen drei Gulden bei mir haben.« Da gedacht sich der Chossid, alle Tag drei Gulden zu haben, die sind mir auch gut. Ich will den Baum stehn lassen. Un ging mit Freuden heim. Er meint, der Heilige, gelobt sei er, hätt ihm solches beschert. Un da er heim kam, da[221] sagt er's seinem Weib, wie es ihm mit dem Baum gegangen war. Un wie der Baum solches gesagt hat. So war das Weib auch gar wol zufrieden. Un waren alle beide sehr in Freude, daß sie so eine Mezie (Vorteil) haben gefunden. Da ging der Chossid alle Morgen auf seinen Acker un gefindet drei Gulden. Da gedacht der Chossid, sie mögen mir nun wol meine Erndte verderben. Aber der fromme Mann gedacht nit, daß die Kutäer einen Götzendienst aus seinem Baum gemacht haben. So war der Chossid gar reich, welches nit zu derzählen war. Er bekam viel Knechte un Maiden un Viehhäuser un Scheuern. Nit lang dernach begab es sich, daß dem Chossid all seine Kinder sturben. Da grämte sich der Chossid sehr un gedacht sich, mein lieber Gott, was für Awere eine (Sünde) sollt ich haben getan, daß mir meine Kinder als sterben? Denn er vermeint, daß er gar fromm war, was auch der Emes (Wahrheit) war, sonder allein, daß er sich mit dem Baum versündigt hat, daß er nix dervon wußt, daß es ein Götzendienst war. Nun, es begab sich einmal, daß der Chossid auf seinem Acker spazieren ging. Da sah er, wie die Gojim Geld an den Baum warfen. Da sah er erst, daß der Baum ein Götzendienst war. Un gedacht nun wol, daß er darum versündigt hat, daß ihm seine Kinder gestorben sind un sagt: »Lieber Gott, du hast mich recht gestraft mit meinen Kindern. Ich will den Baum gehn abhacken, un wenn er mir wollt schon alle Tag tausend Gulden geben.« Un damit ging der Chossid wieder heim un nahm eine Hacke in seine Hand, un lauft zu dem Baum un hebt an zu hacken. Da hebt der Baum an: »Lieber, warum willst du mich abhacken, un du findest alle Tag so viel Geld bei mir?« Der Chossid, der hackt also vor sich. Da sagt der Baum: »Lieber, laß mich stehn, du sollst alle Tag zehn Gulden bei mir finden.« Da sagt der Chossid: »Ich laß dich nit stehn, wenn du mir schon sollst alle Tage tausend Gulden geben.« Da nun der Sched (Geist) sah, daß der Chossid wollt sich nimmer über ihn derbarmen, daß er ihn stehn wollt lassen, da fliegt er aus dem Baum. Da ging der Chossid zu dem Synhedrin (Rabbiner-Kollegium) unfragt sie, wie er sich verhalten soll mit dem Geld, das er hat von dem Awaudo soro (Götzendienst) bekommen. Da sagten die Synhedrin, er soll all das Geld nehmen, das er von dem Baum gehabt hat, un soll es alles dem Baum wieder geben. Also tät auch der Chossid un gab das Geld alles dem Baum wieder, un vergrabt es unter seinem Baum unter die Erd. Un ackert seinen Baum wieder um, un saet sein Feld wieder. Da wachst ihm das Jahr hundert Achtel Korn. Da beschert ihm der, dessen Name gelobt sei, doch Gut genug, daß er gar reich war. Aber doch hat er sich versündigt, daß ihm seine Kinder waren gestorben. Derhalben, ihr lieben Leut, laßt euch von Awaudoh soroh nit verführen, wenn schon sie eueren Beutel wollen voll schmieren. Denn sie tun es darum, daß sie einem machen von der Welt verlieren. Denn der,[222] dessen Name gelobt sei, kann es ihm wol schicken, daß es ihm tut wol beglücken, wenn er sich tut wol dernach schicken.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 221-223.
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