Zweihundertdritte Geschichte

[234] geschah an drei Brüder, die ziehten aus lernen un kamen zu König Salomon. Da sprach König Salomo: »Bleibt hie bei mir un dient mir, so will ich euch Chochmes (Weisheiten) lernen.« Un der König Salomon setzet sie, daß sie seine Kämmerlinge waren. So blieben sie bei ihm dreizehn Jahr. Un wie nun die dreizehn Jahr aus waren, da sprach einer zu dem andern: »Was haben wir getan? Wir haben so lang unsere Häuser verlassen un bei unserem Gesind sind wir in dreizehn Jahren nit gewesen un wir sind drum hergekommen, daß wir haben wollen Thauroh lernen. Nun haben wir neiert gedient un haben nix gelernt. Kommt, wir wollen Abschied von dem König nehmen un wollen wieder heim ziehn.« Nun es begab sich einmal auf einen Tag, daß sie kamen vor den König Salomo un sprachen: »Mein Herr König, wir sind nun dreizehn Jahr hie bei dir gewesen un haben dir gedient un wir wissen nit ob unser Hausgesind tot oder lebendig sind. Wir meinen, wir sind nun lang genug hie gewesen un haben nix gelernt. Derhalben gib uns Reschuss (Erlaubnis) so wollen wir wieder heim ziehn, daß wir möchten sehn, was unser Gesind tut.« Alsobald ruft der König Salomo den Mann, der über die Auzraus (Schätze) gesetzt war, un ließ ihn bringen dreihundert Gulden un sprach wider sie: »Da derwählt euch eins von den zweien, ob ich einem jedem von euch will drei Chochmes (Weisheiten, Künste) lernen oder wollt ihr liebert ein jeder hundert Gulden haben?« Da hielten sie miteinander Rat, daß sie liebert das Geld wollten nehmen. So nahmen sie das Geld un nahmen Abschied un ziehten, bescholaum (in Frieden) weg. Un wie sie nun vier Meilen Wegs von Jeruscholajim waren, da hebt der Jüngste an wider seine andern Brüder: »Was haben wir getan? Sind wir hergekommen, daß wir haben wollen lernen oder sind wir hergekommen um Geld zu verdienen? Wir haben doch wollen Thauroh lernen. Un jetzundert haben wir uns lassen von dem Jezerhore (bösen Trieb) verführen, un haben ein jeder hundert Gulden genommen. Darum, wenn ihr mir noch folgen wollt, so wollten wir noch umkehren un wollen das Mammon wieder geben un wollen liebert Chochmes[234] von ihm lernen, denn das Geld vergeht un die Chochme besteht.« Da sagten die andern zwei: »Du magst das Geld wieder bringen un Chochmes lernen, aber wir wollen nit Red für Geld kaufen.« Alsobald kehrt der Jüngste wieder um un kam wieder zu dem König un sprach: »Mein Herr König, ich bin nit hergekommen von Geldes wegen. Derhalben bitt ich dich, nimm das Geld wieder un lern mir derfor dreierlei Chochmes.« Alsobald als König Salomo das hört, da hebt er an un lernt ihm Thauroh un sagt zu ihm: »Mein Sohn, wenn du bist auf dem Weg so sei gewarnt, alsobald als der Morgenstern aufgeht, daß du schon bereit bist um deines Wegs zu gehn, un zu Abend wieder früh in die Herberge zu gehn. Da hast du eine Chochme von mir. Un wenn du siehst eine Bach, die groß is geworden, un voll gelaufen is, geh nit gleich derdurch. Neiert wart bis die Bach wieder klein wird, un auf ihren alten Statt kommt. Das sind nun zwei Chochmes. Un ewiglich entflecke (offenbare) keine Heimlichkeit zu einer Frau afilu (sogar) zu deinem Weib nit. Da hast du nun drei Chochmes.« Un alsobald daß er nun drei Chochmes gelernt hat, da nahm er Abschied vom König Salomo un setzt sich auf sein Pferd un reitet geschwind seinen Brüdern nach. Un wie er nun zu ihnen kam, da frägten sie ihn: »Was hast du gelernt für Chochmes?« Un spotteten ihn. Da sagt er: »Was ich gelernt hab, das hab ich gelernt. Was frägt ihr dernach?« Un sie zugen weiter miteinander bis schier Abend war. Da kamen sie in eine Stadt, die war gar hübsch. Da hebt der kleinste Bruder an: »Fürwahr, ihr lieben Brüder, die Stadt is gut für uns zu übernächtigen. Warum? Wir können alles bekommen, Wasser un Holz un Futter für die Pferde, daß sie können essen. Wenn ihr mir wollt folgen, so wollen wir heut hier bleiben un morgen so bald der Morgenstern aufgeht, so wollen wir uns mit Gottes Hilfe wieder auf den Weg begeben.« So sprachen die andern zwei Brüder: »Du Schaute (Narr), wir haben wol an dir gesehen, daß du das Mammon hast hinweg gegeben un hast Chochmes gelernt. Da bist ein Narr, denn wir können heute eine Meile Wegs gehen, ehe es Nacht wird, un du willst haben, daß wir sollen hie übernachten.« Da sprach der Jüngste wieder: »Tut ihr nach euerem Wolgefallen. Aber ich will diese Nacht von hinnen nit kommen, bis morgen früh, mit Gottes Hilfe.« So gingen sie ihres Weges vor sich, un der Jüngste blieb da un schneidet sich Holz ab un macht sich ein großes Feuer an. Un macht sich ein klein Hüttlein, daß er konnt drin liegen. Un sein Pferd ließ er eine Weil weiden bis es Nacht war. Zunacht tät er das Pferd auch in das Hüttlein un gab ihm Gersten zu essen. Un er eßt un legt sich schlufen un schluft in Frieden die ganze Nacht. Un seine Brüder gingen fort bis es ganz nacht war, un hatten nit können finden eine Weide für ihr Pferd. Un hatten auch kein Holz oder Feuer[235] können bekommen. Un es hat die Nacht gar sehr geschneit auf sie bis sie sind vor Kält gestorben. Aber dem Jüngsten war nix geschehn, denn er hat sich von allem wol versehen. Wie es nun zu morgens war, so macht er sich fertig un setzt sich auf ein Pferd un eilt seinen Brüdern nach. Un wie er zu ihnen kam, da waren sie alle beide tot. Wie er solches sah, da steigt er von seinem Pferd ab un fiel auf sie un weint un klagt. Un er begrabt sie un nahm ihr Gut un zieht seiner Straß. Da ging die Sonn auf, daß der Schnee zerschmelzt, daß alle Bäche voll dervon waren un alle überlauften von dem großen Schnee, daß der Jüngste nit konnt überfahren mit seinem Pferd. Also steigt er herunter um zu warten bis der Bach wieder klein ward. Unterdessen sah er die Knechte von König Salomo. Die brachten zwei Tiere, die waren schwer mit Gold geladen. So sagten die Knechte wider den jüngsten Bruder: »Warum fährst du nit herüber?« Da sagt er wider: »Derweil der Bach so groß is, so will ich warten bis er wieder klein wird.« Aber die Knechte die fahrten von jener Seite über. Un da sie mitten in den Bach kamen, da war der Strom so stark, daß sie umfielen un vertrunken alle. Un der jüngste Bruder wartet so lang bis der Bach wieder klein war. Also gefand er all das Gold, das die Knechte bei sich gehabt haben. Also überfährt er den Bach un kam in Frieden heim. So haben ihm die zwei Chochmes geholfen, daß er viel Mammon mit bekommen hat. Wie nun die Weiber von seinen Bruders sehen, daß ihre Mannen nit heim kamen, da fragten sie ihn, warum ihre Mannen nit auch mit gekommen sind. Da sagt er wider sie: »Euere Mannen sind noch dorten bei König Salomo geblieben, un wollen noch Chochmes lernen.« Da hebt er an un kauft Felder un Weingärten, Knechte un Maiden un bauet sich hübsche Häuser un allerlei Vieh. Da frägt ihn sein Weib einmal: »Mein lieber Mann, wo kommt dir all dein Mammon her?« Alsobald war er gar zornig über sie un schlug sie un sagt wieder: »Was hast du dernach zu fragen?« Nun, sie lag ihm in den Ohren un sprach: »Ich seh wol, du hast mich nit lieb, derweil du es mir nit sagen willst. Ich bitt dich sehr, sag mir wo dir das Mammon herkommt.« Un sie kippelt ihn so lang, wie den Weiber ihr Seder (Art) is. So ließ sich der gute Mann überreden un sagt ihr, wie es ihm gegangen war mit seinen Brüdern un mit des Königs Knechten. Da hat er nun die dritte Chochme nit gehalten, welches ihn bald hätt in Not gebracht, wie ihr weiter hören werdet. Es begab sich einmal, daß er mit seinem Weib zankt un schlug sie. Da hebt sie an zu schreien un sagt: »Is nit genug, daß du hast deine zwei Brüder un des Königs Knechte derschlagen, willst du mich auch derschlagen.« Wie das die zwei hörten, daß ihre Mannen tot waren, un der jüngste Bruder hat sie um das Leben gebracht, da lauften sie vor den König Salomo un verklagten den Bruder. Da das der König Salomo hört, da[236] schickt er nach ihm, un gebot, daß man ihn sollt umbringen. Da bat der jüngste Bruder, man sollt ihn doch selber vor den König lassen, denn er müßt ein Wort mit ihm reden. Also ward er vor den König geführt. Un wie er nun vor den König kam, so fiel er hernieder auf seine Knie un sagt zu ihm: »Mein Herr, der König soll ewig leben. Ich bin einer von den drei Brüdern, die da bei dir dreizehn Jahre gedient haben um Weisheit zu lernen. Un ich bin der Jüngste unter ihnen, der dem König das Geld hat wieder gebracht un hab Chochmes (Weisheit) derfür gelernt. Un die Chochmes, die ich von dir gelernt hab, die haben mich beschirmt vor all dem Bösen. Aber nun hab ich die dritte Chochme nit gehalten, un hab meinem Weib den Sod (Geheimnis) gesagt. Da hat sie mich vermassert (verraten), daß es mir so übel ging.« Sobald solches der König hört, da kennt ihn der König un sprach: »Steh auf un fercht dich nit. All hast du das Gut von deinen Brüdern un von meinen Knechten genommen, is nix daran gelegen, denn es is alles dein. Die Chochme, die du von mir gekauft hast, die hat dich beschirmt vor dem Tod un von der Hand deiner Frauen. Derhalben geh in dein Haus bescholaum (in Frieden) un freu dich mit deinem Weib.« Darauf hat der König Salomo, er ruhe in Frieden, gesagt: »Weisheit lernen is besser als Gingold, aber doch dein Geheimnis offenbare nit deinem Weib.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 234-237.
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