Zweihundertfünfunddreißigste Geschichte

[315] geschah: Noch eine Chochme (Weisheit) hat König Salomo gebraucht, nachdem daß jedermann weiß, daß König Salomo hat das Schach Zabel Spiel (Schach) dertrachtet (erfunden). Nun begab es sich einmal, daß er spielt mit seinem ersten Jauez (Rat), der hat geheißen Benojohe ben Jehude. Aber der Rat konnt es dem König Salomo sein Tag nit abgewinnen. Denn er konnt es gar wol. Auch hat es König Salomo selbert dertrachtet, so konnt er es schon besser denn ein anderer. Nun begab es sich einmal, daß König Salomo mit seinem Rat wieder spielt. Da hat es König Salomo wieder besser als der Rat. Un der Rat war schier wieder matt. Da begab es sich, daß ein großes Geschrei auf der Gasse kam, daß sich zwei miteinander schlagen wollten. Da lauft König Salomo in ein Fenster un sah auf die Gaß un wollt sehn was dermehr war. Derweil ging der Rat hin un nahm König Salomo einen Stein, den man nennt einen Ritter, aus den Spiel, daß König Salomo nix dervon wußt. Un König Salomo verliert dernach das Spiel mit seinem Rat. Nun, mein guter König grämte sich heimlich gar sehr, daß er das Spiel verloren hat, denn er meint nit, daß ein Mensch in der Welt is, der es ihm hätt können abgewinnen. Un bedacht sich hin un her, wie es mag zugegangen sein, daß er das Spiel verloren hat. Un stellt seine Steine wieder aufs neue un wollt sehen, wie er das Spiel verloren hat. Un wie er nun übersehen hat, da sah er in seiner großen Chochme, wie ihm ein Stein mangelt. Un bedacht sich: vielleicht hat er mir einen Stein genommen, da ich bei dem Fenster gelegen, un hab auf die Gaß gesehen. Un darüber hab ich das Spiel verloren. Nun, ich darf den Benojohe nit chausched sein (verdächtigen) un ich wollt gleichwol gern wissen, ob er es getan hat. Ich muß eines tun, un muß eine Chochme dertrachten (ausdenken), daß er es mir muß gestehen von ihm selbert. Un ging un gehielt sich gar übel un darft sich nix annehmen, daß er das Spiel verloren hat. Indem begab es sich einmal, daß er in seinem Palast war un sah zum Fenster heraus. Da sah er dorten zwei gehn, die hatten Säcke über der[315] Achsel, daß sie bei Nacht ganewen (stehlen) wollten, denn es war nun gar spät. Da ging der König hin un tät seine königlichen Kleider aus un tät niwsige (häßliche) Kleider an, wie ein anderer Knecht auch. Un lauft hinab zu den Ganowim (Dieben) un sagt zu ihnen: »Gott grüß euch, meine lieben Gesellen. Ich hab auch das Handwerk gelernt. Un auch hab ich etliche Schlüssel bei mir, die dem König seine Zimmer aufschließen, wo seine Schätze liegen. Denn ich bin auch lang dernach gestanden. Aber doch hab ich mir den Handel nit alleinig unterstehn dürfen. Darum, wenn ihr mir folgen wollt, so wollen wir reich werden.« Da sprachen die Ganowim: »Ja wenn du eppes Gelegenheit weißt, so laß du nument uns sorgen, wir wollen geschickt genügen derzu sein.« Da sprach der König: »Laßt uns warten, bis es was später is, daß ein jeder schlaft, dann sieht uns niemand.« Wie es nun ganz spät war, da hebt er an: »Jetzundert is es Zeit, daß wir gehn.« Da führt sie der König in ein Cheder (Zimmer) da wollten sie ganewen. Da sagt der König: »Es is noch nit Zeit, es wird noch wol eppes Besseres kommen.« Da führt sie der König in ein besseres Cheder, da wollten sie ganewen. Da sprach der König: »Es is noch nit Zeit. Ich will euch noch was Besseres weisen, da wir genug werden bekommen, un werden nit brauchen schwer zu tragen.« Da führt sie der König in das Cheder, da all die Edelsteine lagen. Da sprach der König: »Da nehmt, jetzunder is es Zeit. Un nehmt die Säcke voll, ich will so lang da sehen ob niemand kommt. Damit daß wir in der Stille wieder weg kommen.« Die Narren ließen sich überreden un meinten es wär wahr. Un wußten nit, daß es der König selbert war. Un nahmen ihre Säck voll. Derweil ging der König hin un schließt die Tür zu. Also waren die Diebe gefangen. Un der König ging wieder in seine Schlafkammer un tät sich anderst an. Un sagt wider seine Knechte, sie sollten Achtung haben, denn er hatt Ganowim in seinem Cheder gespürt. Sie sollten bei Leibstrafe Achtung geben, daß sie nit hinweg kommen. Un ließ sie die Nacht wol bewahren, daß sie nit konnten weg kommen. Wie es nun Tag war, da ließ König Salomo die Synhedrin setzen. Nun war sein liebster Rat Benojohe ben Jehude auch unter den Synhedrin. Un König Salomo saß auch bei ihnen. Da hebt König Salomo an: »Ihr liebe Chachomim (Weise) gebt ein rechtes Urteil. Was soll man einem tun, der dem andern ganewt, un nit allein, daß er den andern ganewt; er ganewt den König selbert«. Wie der Benojohe hört, wie der König anzeigt von ganewen, da meint er, er wird ihn selbert meinen. Denn er fürchtet sich, er wird es haben gewahr geworden, daß er ihm hat den Stein genommen. So gedacht er, soll ich schweigen, bis sie ein Urteil geben, so urteilt man mich. Ich will gestehen un will den König um Verzeihung bitten. Vielleicht verzeiht er mir meine Awere[316] (Sünde), damit daß ich nit um das Leben komm. Un stund auf un fiel auf sein Ponim (Angesicht) un bat den König: »Mein Herr König, ich bitt um Verzeihung. Ich muß meine Awere bekennen, daß ich der Ganew bin. Denn da wir das Schach-Zabel mit einander gezogen haben, so hat der König zum Fenster hinaus gesehen. Derweil bin ich hingegangen un hab dem König einen Stein genommen. Ich bitt derhalben, wollt mir an meinem Leben nix tun, derweil ich selbert gestehe.« Da das der König hört, da hebt er an zu lachen un sprach: »Lieber Benojohe, ich mein dich nit. Ich hab das Gericht nit um deinethalben gesetzt. Denn deines hat ich schon vergessen, das hab ich dir schon verziehen. Aber daß ich dasmal hab das Synhedrin sitzen lassen, das is was anderes. Ich hab drinnen in meiner Kammer noch zwei Ganowim sitzen, die haben mir in meiner besten Kammer wollen ganewen. Darüber soll man mir ein Urteil geben.« Da hat der König Salomo durch seine Weisheit die Sach getrachtet (gedacht), ob er von sich selbert wird gestehen. Un wie der König diese Sach hat gehört, so tat es ihm eine große Hanoe (Genugtuung), daß er hat gewahr geworden, wie es zugegangen war. Also ging das Urteil man soll die Diebe hängen. Derhalben trachtet er in Weisheit so: Wenn schon Benojohe nit hätt gestanden, so hatt König Salomo auch nit vergebens das Synhedrin gesetzt, denn er hätt die Sach mit den Ganowin dertrachtet. Da sieht man wol, daß der König Salomo sehr weise is gewesen, denn auf ihn wird gesagt: der König Salomo war weiser als irgend ein Mensch auf der Welt. Sogar mehr als Odom der erste Mensch. Denn er hat doch großen Verstand gehabt, denn er hat allem einen Namen gegeben, Allem was da lebendig is gewesen, jeglichem Beschäffnis nach seiner Natur. Nun, so is König Salomo weiser gewesen als Odom der erste Mensch.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 315-317.
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