Der Zauberring

[80] Ein junger Mann aus gutem Hause hatte die ganze Welt bereist. Und hatte von seinen Fahrten erstaunliche Dinge mit heimgebracht, durch welche er imstande war, Wunder zu wirken.

Eines Tages unter den Tagen begegnete er im Walde des Königs einziger Tochter. Schön war die wie die Sonne. Der junge Mensch aber verliebte sich in sie und dank seiner Zaubermacht bereitete es ihm keine Mühe, auch die schöne Prinzessin in sich verliebt zu machen.

Und er erbat sie dann als Ehefrau. Der König machte zuerst einige Schwierigkeiten, ihm ihre Hand zu geben. Aber die Wunder, die der Liebhaber vollführte, überwanden alle Einwände.

Am Morgen nach der Hochzeit befragte die Königin ihre Tochter.

Sagte die Jungverheiratete: »O meine Mutter, ich liebte meinen Gatten, aber jetzt bin ich ganz närrisch nach ihm. Kein Weib auf dem Erdenreiche kann so viel Glück verspüren, wie mir mein Gatte gegeben hat.« ...

»Nun, das macht mich ja sehr froh,« murmelt die Königin. »Liebe deinen teuren Gatten nur recht sehr!«[81]

Die neugierige Alte unterließ es nicht, all die folgenden Tage mit ihrer Tochter zu plaudern, deren Begeisterung immer noch wuchs. Sie gedachte der Wunderwerke, die ihr Eidam bereits vollführt hatte, und vermutete, daß es da noch ein Geheimnis gäbe, welches sie gerne kennen lernen wollte. Doch ihre Tochter war, was diesen Punkt anlangte, verschwiegen und das verdoppelte der Königin Neugierde.

Zweifelsohne würde sie das Geheimnis nie durchdrungen haben, wenn sie nicht eines Tages das Schmuckkästchen ihrer Tochter besichtigt hätte. Unter den Geschmeiden lag da ein goldener Ring von einer seltsamen Form, den sie nie gesehen.

»Was ist das für ein Ring?« fragte sie.

Die Jungverheiratete ward verwirrt und konnte kein Wort über die Lippen bringen.

»Wahrlich hier haben wir das Geheimnis,« dachte die Königin.

Und setzte ihrer Tochter so gut zu, indem sie ihr versprach, stumm wie das Grab zu sein, daß diese schließlich solcherart zu ihr sprach:

»Es ist der Talisman meines Glücks. Wenn mein Gatte mit mir spielt, wie's Eheleute mit einander zu tun pflegen, steckt er den Ring auf seinen Zeigefinger. Je tiefer er ihn heruntersteckt, desto mehr verlängert sich das, was er zwischen den Beinen hat. Ach, welches Glück er mir da gibt!«

Die Alte fragte nicht weiter; einen ganzen Monat[82] lang konnte sie nicht schlafen, immer mußte sie an die Zauberkraft des Ringes denken.

Nun geschah es, daß die Ärzte der Jungverheirateten empfahlen, sich für einige Zeit nach den natürlichen heißen Bädern zu begeben, die es einige Meilen von der Hauptstadt entfernt gab. Der Gatte hatte dort nichts zu suchen, so blieb er denn, sich zu Tode langweilend, im Palaste und verschlief einen Teil des Tages in den Gärten.

Die Alte aber verlor keine Zeit. Sie kramte solange in dem Zimmer ihrer Tochter, bis sie den Zauberring fand.

Am Morgen nach dem Tage machte sie sich auf die Suche nach ihrem Eidam. Er war im Schatten eines Buschwerks von niedrigen Bäumen. Da er sich allein wähnte, hatte er es sich zufälligerweise bequem gemacht und lag fast nackt da.

Schnell legte sich die Alte über den jungen Mann, sperrte das kleine Tier da ein, wohin es gehört, und streifte den Ring über den kleinen Finger des Schläfers.

Wehe, der Finger war viel zu dünn! Der Ring ging so tief hinunter, daß der Karst sich verlängert, sich mit schwindelerregender Schnelligkeit verlängert und steigt und steigt über die Zypressen, dann die Platanen, dann die Berge hin, ganz hoch oben wie ein Lusthaus die alte Königin tragend, die sich mit Händen und Füßen an diesen außergewöhnlichen Mastbaum klammert und ein fürchterliches Geschrei anstimmt,[83] das den Schläfer nicht aufweckt, aber den ganzen Palast, den König an der Spitze, herbeiströmen macht.

Man mußte den Gatten aufwecken, der den Ring nach und nach abziehend, die Zaubersäule sich verkleinern und endlich die alte Königin ohne Unfall den Erdboden wiedergewinnen ließ.

Was dann folgte, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht werdet ihr, Spitzbuben, es euch denken können.

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 80-84.
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