Warum die Hyäne nicht zu den anständigen Leuten gehört

[183] Früher gehörte die Hyäne zu den vornehmen Leuten. Ihr Beruf war, die Leute zu bestatten. Wenn jemand starb, wurde die Hyäne gerufen, ihn zu beerdigen.

Eines Tages starb nun in einem benachbarten Dorf ein Mann, und die Hyäne wurde zum Begräbnis gerufen. Die Leiche wurde hinaus vor's Dorf gebracht, und die Leute kamen und legten sie in's Grab. Die Hyäne las die Gebete, das Grab wurde zugeschüttet, die Leute zerstreuten sich, trauerten noch bis zum Abend und trösteten sich dann.

Als nun die Leute schlafen gegangen waren, ging die Hyäne wieder zum Grabe und grub den Toten aus, um ihn zu fressen. Sie hatte ihn schon bis auf den Weg geschleppt, da begegnete ihr ein Mann, der von seinen Fanggruben kam und eine Antilope trug.

Die Hyäne frug ihn, was er da trüge. Er antwortete, eine Antilope, die er in seinen Gruben gefangen. Er seinerseits frug die Hyäne nicht, weil er längst gesehen hatte, daß sie jenen Leichnam mit sich schleppte.

Die Hyäne bat ihn, er möchte, wenn er heimkäme, nicht verraten, was er gesehen. Er sagte es zu und ging seines Wegs.

Danach dachte die Hyäne bei sich, der Mann möchte sie dennoch den Leuten verraten, daß sie eine Leiche geholt[182] habe, um sie zu fressen. Sie schleppte daher die Leiche weiter und folgte dem Manne heimlich bis zu seinem Hause. Als der Mann an seiner Thür anlangte, legte er die Antilope nieder, hieß sein Weib öffnen, trat ein und vergaß die Antilope draußen. Flugs schlich sich die Hyäne herbei, nahm die Antilope, ließ statt dessen den Leichnam zurück und machte sich davon.

Nun sprach der Mann zu seinem Weibe: »Geh' hinaus an die Thür und hole die Antilope!« Sie ging hinaus und erblickte den Leichnam an der Thür, ging eilends wieder ins Haus und sagte ihrem Gatten: »Wie? Es ist ja ein Leichnam.« Der Mann schaute nach und sah, daß es in der That sich so verhielt.

Früh morgens aber rief er alle Leute zusammen und erzählte ihnen alles, was geschehen war. Da ward die Hyäne von den vornehmen Leuten ausgestoßen.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 182-183.
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