Hubeane

[276] In alten Zeiten lebte ein Mann, welcher einen Sohn hatte, der Hubeane hieß, der aber war ein wunderliches Kind. Als er eines Tages mit seiner Mutter auf das Feld gegangen war, fand diese eine kleine Antilope in den Schoten ihres Feldes schlafend. Sie erlegte das Tier, legte es in einen Tragkorb und bedeckte es mit Schoten. »Hubeane, mein Kind,« sagte sie dann, »nimm das Wild und trage es nach Haus; solltest du aber Leuten begegnen, die dich fragen, was du trägst, so sage: ›Ich trage meiner Mutter Schoten‹ aber in deinem Herzen ist es eine Puti-Antilope.« Hubeane nahm die Last und trug sie heim, wenn er aber Leute traf, die ihn fragten: »Hubeane, was trägst du?« so sagte er: »Ich trage meiner Mutter Schoten, aber in meinem Herzen ist es ein Puti!« Da lachten die Leute und sagten: »Was für Zeug redet der Junge?« So sagten alle, die ihm begegneten.

Hubeane wuchs heran und mußte die Schafe hüten. Da fand er eines Tages auf dem Weideplan ein totes Zebra, darauf sprang er, setzte sich und spielte den ganzen Tag auf ihm herum. Als er am Abend eingetrieben hatte, frugen ihn die Männer: »Hubeane, wo hast du heut gehütet?« »Heut habe ich bei dem Stein gehütet, der lauter bunte Streifen hat.« Da lachten die Männer[270] und sprachen: »Wir wohnen hier und kennen doch keinen Stein, der buntstreifig ist.« Hubeane ging wieder mit den Schafen auf die Weide, spielte wieder bei dem toten Zebra und fand es faulend, ein Fraß der Hyänen. Nach Haus zurückgekehrt, wurde er von den Männern wieder befragt, wo er gehütet habe, und antwortete diesmal: »Bei dem Stein der Hyänen.« Das fiel den Leuten auf. »Gestern,« so sagten sie, »hat er von einem buntstreifigen Stein gesprochen, heut redet er von dem Hyänenstein; wir wissen nicht, von welchem Stein er redet, der Junge hat schlechte Streiche im Kopfe.« So schickten sie am nächsten Morgen einen Mann mit ihm, damit er diesem den Stein zeige, von dem er geredet hatte, dem zeigte er das Zebra und sprach: »Hier ist der Hyänenstein,« und stellte sich, als ob er das Tier nicht kenne. Der Mann erschrak und sagte: »Mein Kind, kennst du das nicht?« Hubeane sagte: »Mann, ich denke, das ist ein Stein!« »Mein Kind,« sagte der Mann, »das ist ein Zebra, ein Stück Wild, das kann man essen, wenn du solches findest, dann haue Zweige ab und decke es zu, damit die Geier es nicht sehen, renne nach Hause, rufe und schreie, dann kommen wir und holen es heim.« Anderen Tags war Hubeane wieder mit den Schafen draußen, da sah er ein Vögelein, Motantasana genannt, das erlegte er, hieb Zweige ab und bedeckte es damit, ja, legte Zweige darauf, bis es ein Haufen war, darauf lief er und schrie aus vollem Halse: »Ich habe ein Stück Wild erlegt, kommt und holt es, kommt und holt es!« Die Männer eilten herbei, die Frauen brachten Tragkörbe, alle liefen mit ihm nach dem Orte, den er anzeigte, da[271] lag ein Haufen Strauchwerk. »Nehmt das hinweg,« sagte Hubeane, »hier ist das Wild.« Da nahmen die Leute Zweig auf Zweig fort, wurden aber enttäuscht und fragten: »Wo ist das Wild?« »Nehmt den letzten Zweig doch auch fort,« sagte Hubeane, »ihr werdet es schon finden.« Schon wollten die Angeführten das nicht mehr thun, nahmen aber doch endlich den letzten Zweig hinweg, sahen aber nichts. »Hubeane, wo ist es?« riefen sie. Der aber bückte sich, suchte im Grase und zeigte ihnen das kleine Vögelein. Das nahmen sie auf, hielten es hoch und sagten: »Seht nur, das ist es, wozu der Junge uns herruft!« und gingen betrübt nach Haus.

Einige aber wiesen den Knaben zurecht. »Kind,« sagten sie, »das ist ein Vögelein, wenn man das getötet hat, bindet man es an den Mantel oder an den Gürtel und bringt es so nach Haus.« Eines Tages nun hatte Hubeane eine Puti-Antilope erlegt, die band er an den Mantel, der zerriß, dann an den Gürtel, der riß auch, da faßte er sie bei einem Beine und zerrte und zog sie fort, ohne darauf zu achten, daß ihr wertvolles Fell verdarb, da sie geschleift wurde. So kam er nach Haus. »Was ist mit deinen Kleidern geschehen?« hieß es da. »Wie hast du das Wild getötet?« fragten andere. »Das ist ein Vögelchen, welches ich getötet habe, ich band es an die Kleider, die aber zerrissen,« antwortete der Junge und blieb bei allen Zurechtweisungen, daß dies ein Wild sei, welches man tragen müsse, und kein Vogel, bei der Gegenrede: »Ihr selbst habt mich geheißen, so zu handeln, wie ich gethan habe.«

Je größer Hubeane wurde, desto mehr dumme und[272] unnütze Streiche führte er aus. Als die Schafe Lämmer bekamen, trug er diese des Abends nicht nach Haus, wie Hirten thun müssen, sondern er machte eine Hürde im Felde, indem er einen Lehmhügel aushöhlte, den die Termiten gebaut hatten, und steckte die Lämmer da hinein. Die Schafe blökten nun immer nach der Richtung des Ortes hin, wo sie ihre Lämmer wußten; die Männer des Dorfes aber wunderten sich und sprachen: »Was blöken die Schafe nur immer nach der Weide hinaus?« Hubeanes Vater aber ging mit ihm und schalt den Sohn, der aber schalt ihn wieder und betrug sich ungebührlich gegen ihn, weil er ja nicht einmal wisse, zu welchem Schaf jedes Lamm gehöre, dies Lamm gehört zu jenem Schaf und dies zu diesem hier, rief der Junge; er schlug seinen Vater, indem er ihn also zurechtwies. Der Alte ging von da an öfters mit dem Knaben, wenn er die Herde hinausführte, damit nicht wieder Schlimmes vorfalle. Eines Mittags, als die Sonne heiß schien in dem schattenlosen Weidefeld, sagte der Vater: »Ich bin durstig, wo giebt es Wasser hier? Hubeane, wo pflegst du zutrinken, wenn du hütest?« »Ich trinke,« sagte der, »auf jenem hohen Felsen, ich will dich hinführen.« Hingekommen nahm Hubeane eine Leiter, richtete sie an dem Felsen in die Höhe und stieg hinauf, während der Vater unten blieb. Wasser war oben nicht zu finden, aber der Junge that, als ob er seinen Durst stillte, auch benetzte er seine Lippen mit Speichel, so daß es schien, als habe er Wasser getrunken. Das sah sein Vater, und als der Junge herabgestiegen war und noch versicherte: »Wasser ist da!« erstieg der Alte den Felsen, aber kaum war er[273] oben, als Hubeane die Leiter fortnahm und nach Haus lief. Er schlich durch die Hinterthür in den Hof und gelangte unbemerkt ins Haus seines Vaters. Hier nahm er seines Vaters Mantel und that ihn um, seinen Hut setzte er auf, hängte auch seine Perlenschnüre und Brustgehänge um, so angethan rief er seine Mutter und sprach: »Mutter des Hubeane, breite mir eine Matte aus, ich will ruhen.« Die Mutter erkannte ihn nicht in dem halbdunklen Hause, sie meinte, es sei der Herr, und that, wie er befahl. Dann rief er den Diener, welcher Fleisch zu kochen hatte, und frug ihn: »Ist mein Fleisch noch nicht gar?« Der Diener antwortete: »Ja wohl, Herr, es ist gar.« »So bringe es herein!« lautete der Befehl, dann aß Hubeane, ließ die beiden hinausgehen, that die Sachen seines Vaters von sich, füllte den Topf, der im inneren Hofe auf dem Herdfeuer stand, mit Kehricht an, schlüpfte unbemerkt ins Freie und eilte nach dem Weideplatze, wo sein Vater noch immer hilflos auf dem Felsen saß. Dieser rief ihm zu: »Hubeane, wo bist du gewesen, während ich hier auf dich wartete?« »Herr,« war die Antwort, »die Schafe hatten sich zerstreut, ich lief sie zurückzuholen.« Damit setzte er die Leiter wieder an und ließ den Alten herabsteigen. Als sie nun zu Hause angekommen waren, rief Hubeane den Dienern zu: »Bringt das Fleisch, wir sind hungrig!« Diese antworteten: »Der Herr hat noch nicht befohlen.« »Bringt schnell,« sagte Hubeane, »wenn ihr nicht schnell macht, wird das Fleisch Kehricht werden.« Als sie nun auch den Befehl des Herrn vernahmen, eilten sie, hoben den Deckel des Topfes ab, kamen und sprachen: »Fleisch ist nicht vorhanden, es ist Kehricht im Topf!«[274] Als darauf der Vater die Mutter nach dem Verbleiben des Fleisches befragte, antwortete diese: »Sie fürchten sich, es dir zu sagen, du bist ja heute mittag zurückgekommen und hast das Fleisch verzehrt.« Da merkte der Vater des Knaben List und sprach: »Das ist der Hubeane gegewesen, er ist heute mittag von mir weggelaufen.« Sie erschraken aber sehr über diese Geschichten, und der Vater beriet sich mit den Männern des Dorfes. Diese kamen überein, daß Hubeane getötet werden sollte. (Die nun folgende Darstellung der List, durch die man sich des Knaben zu entledigen sucht, ist charakteristisch für afrikanische Heiden. Man gebraucht nicht gleich rohe Gewalt, man fürchtet Weiterungen durch Einspruch der Mutter oder anderer Häuptlinge, darum versucht man, den Schuldigen auf weniger auffällige Weise aus der Welt zu schaffen.) Sie suchten Gift und vermengten es mit dem Brei, den der Knabe essen sollte. Als man aber zum Essen niedersaß, nahm Hubeane die Schüssel seines jüngern Bruders. »Hubeane,« riefen die andern, »das ist nicht deine Schüssel, das ist die deines Bruders.« »Brei ist Brei,« entgegnete dieser, »mein Bruder kann meinen Brei essen, die Schüsseln sind gleich groß.« Da sie ihm so nicht beikommen konnten, ersannen sie eine andere List. Sie gruben an dem Ort, wo er im Hofe zu sitzen pflegte, eine Fallgrube. Als er aber in den Hof kam, wählte er einen anderen Ort, drängte aber seinen jüngeren Bruder zur Seite, indem er sagte: »Dein Platz ist dort.« Der Junge ließ sich dorthin drängen, fiel in das Fangloch, wurde von den spitzen Stöcken gespießt, die darin angebracht waren, und starb. Da sagten die Leute, er hat Wind bekommen, ersannen eine andere[275] List und steckten einen Menschen in ein Bund Deckgras, der hatte einen scharfen Speer bei sich. Dann rief der Vater den Hubeane und sagte: »Bring mir jenes Bund Deckgras,« denn der im Grase versteckte Mann sollte ihn töten, sobald er ihm nahe käme. Hubeane schaute nach dem Bund und kehrte um. »Wohin gehst du, Hubeane?« hieß es. »Ich hole meine Waffen!« »Was willst du mit den Waffen?« »Das ist nicht eure Sache, sie gehören mir!« sagte Hubeane, holte seine Waffen und schwang sie und sprang umher, als ob er einen Feind bekämpfen wollte, so daß die Männer ihn priesen. Plötzlich aber nahm er jenes Bund Gras zum Ziele und warf den Wurfspieß danach, warf dann noch einen zweiten, da kam Leben in das Bund Gras, es bewegte sich und floh davon. Hubeane aber jubelte: »Seht nur, das Bund Gras meines Vaters flieht!« Der Mann, der darin steckte, starb. Der Vater Hubeanes aber sagte: »Der Junge ist uns überlegen, er ist zu klug,« und man ließ ihn hinfort gewähren.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 270-276.
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