Der Sultan und der Arme.

[161] Es war einmal ein Sultan, der besass ein grosses Reich und er herrschte über viele Leute. Auch waren in seinem Lande viele Reiche, wirkliche Grosskaufleute mit grossem Vermögen, im Ganzen vierzehn Leute.

In der Stadt des Sultans wohnte auch ein Armer, dessen Beschäftigung es war, auf dem Meere Fische zu fangen. Eines Tages fuhr er hinaus auf's Meer und warf seine Angel dreimal aus und fing einen Fisch. Als er vom Meere zurückkehrte, brachte er den Fisch zum Sultan und dieser gab ihm Essen dafür, ein pishi1[161] Negerhirse. Das war für gewöhnlich seine tägliche Beschäftigung.

Später einmal zur grossen Regenzeit kam der Fischer vom Meere zurück und brachte seinen Fisch zum Sultan. Als er dort anlangte, war die Gerichtshalle mit Leuten angefüllt, sie hatten sich alle dort zusammengefunden. Die Veziere waren da, die Grosskaufleute waren da und der grosse Haufe war gekommen. Der Sultan hiess den Armen näher treten und fragte ihn und sagte: »Vier und vier haben nicht genügt, haben vier noch nicht genügt?« Er antwortete und sprach: »Vier haben nicht genügt, oder aber wenn vier genügt hätten, würde es dann so beschaffen sein?« Er fragte weiter: »Hast Du nicht geschlafen und bist nachher erwacht?« Er antwortete und sprach: »Ich habe geschlafen und bin aufgewacht, aber ich habe meine Freunde besucht und habe mich nicht selbst besucht.« Der Sultan sprach weiter: »Verkaufe nicht zu billig.« Der Arme antwortete: »Lehre das keinen Krämer, denn es ist seine Beschäftigung.« Als er geantwortet hatte, gab ihm der Sultan ein pishi Negerhirse und er ging seiner Wege.

Alsdann sagte der Sultan zu seinen Vezieren und allen seinen Grossen: »Ich verlange von Euch die Deutung jener Worte, die ich mit dem Armen gewechselt habe. Könnt Ihr die Bedeutung nicht ausfindig machen, so werde ich Euch alle töten lassen; denn Ihr zeigt dann, dass Ihr keinen Verstand habt.« Sie baten um eine Frist von vierundzwanzig Stunden, um dem Sultan Antwort zu bringen; sie wurde ihnen bewilligt.

Sie gingen nun hin und trafen alle in einem Hause zusammen, die Veziere und die Reichen, und dachten[162] darüber nach, jedoch gelangten sie zu keiner Antwort. Später meldete sich ein Mann unter ihnen in ihrer Versammlung, der sagte: »Ich weiss, wie wir dem Sultan die Antwort geben können, trefft Euch alle wieder um die erste Stunde abends.« Sie trafen einander um die erste Stunde und er sprach zu ihnen: »Lasst uns jetzt alle tausend Realen zusammenschiessen und jenem Armen bringen, welcher mit dem Sultan gesprochen hat, damit wir von ihm die Antwort dieser Worte, zu der wir vom Sultan verpflichtet worden sind, erhalten.« Sie schössen tausend Realen zusammen und gingen zum Hause des armen Fischers, riefen hodi2 und er antwortete. Alsdann gaben sie ihm das Geld und erhielten die Antwort.

Sie selbst waren sämtlich nicht im stände gewesen, die Bedeutung der Worte des Sultans zu erkennen, daher war es besser, zu dem armen Fischer hinzugehen und sich die Worte des Verstandes zu erkaufen.

1

Etwa 51/2 Pfund.

2

Unserm Anklopfen entsprechend.

Quelle:
Velten, C[arl]: Märchen und Erzählungen der Suaheli. Stuttgart/Berlin: W. Spemann, 1898, S. 161-163.
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