Die Geschichte von den drei Worten.

[172] Er war einmal ein armer Mann, der dem Fischfang oblag. Er hatte einen Sohn. Zu diesem sprach er eines Tages: »Mein Sohn, ich will Dir Deine Erbschaft geben, ich bin zwar arm und besitze nichts, aber achte auf diese drei Worte.« Und er sprach: »Erstens: ›Das, was Du in dem Lendentuch1 um den Leib trägst, ist ein Schatz für Dich‹; zweitens: ›Wenn Deine Frau viel ausgeht, ist sie nicht mehr Deine Frau‹; und[172] drittens: ›Schlafe lieber bei einem Nachbar als bei Deinem leiblichen Bruder.‹ Verkaufe diese Worte für dreihundert Realen, jedes für hundert Realen; wenn Du das nicht thust, werde ich Dir sehr gram sein.«

Darauf starb sein Vater. Er aber schämte sich, das Vermächtnis desselben in der Stadt feilzubieten. Die Worte seines Vaters beschäftigten ihn sehr, aber Geld zum Lebensunterhalt bekam er nicht. Er wurde so arm, dass er in der Stadt betteln ging.

Später begab er sich eines Tages zu einem Zauberer, um sich weissagen zu lassen. Dieser sagte ihm: »Dein Vater hat Dir drei Worte vermacht; es ist notwendig, dass Du auch so handelst, wie er Dir gesagt hat.« Am nächsten Morgen stand er auf und rief mit grossem Lärm die drei Worte für dreihundert Realen aus. Die Leute aber sagten: »Er ist verrückt geworden, seine Armut hat ihm den Kopf verdreht.«

Als er beim Sultan vorbeikam, sprach dieser: »Deine Worte will ich kaufen«; und er zog Geld hervor und gab ihm dreihundert Realen. »So, nun ist der Kauf abgeschlossen, gieb mir jetzt meine Worte!« Jener sprach: »Ein Schatz ist für Dich, was Du im Lendentuch trägst, was Du auf der Pflanzung hast, nützt Dir nichts, noch was Du in der Kiste verwahrst«; ferner: »Eine Frau, nämlich die Deine, wenn sie ausgeht, ist nicht Deine Frau«; drittens: »Schlafe lieber bei Deinem Nachbar, als bei Deinem eigenen Bruder.« Dann zog der Arme das Geld hervor, nahm die Hälfte davon und sprach zum Sultan: »Verwahre es mir wie eine mir zustehende Forderung.« Und er stand auf und ging seiner Wege.

Der Sultan hatte eine Frau, die Tochter eines Sultans. Eines Tages trat er bei ihr ein und traf sie weinend an. »Warum weinst Du, meine Frau?« sprach[173] er zu ihr; sie erwiderte: »Ich habe Nachricht erhalten, dass mein Vater sehr krank sei.« »Warum ist denn kein Brief gekommen?« Sie sprach: »Diese Leute hier kamen hier vorbei und teilten es mir mit. Ich möchte nun hin, um bei der Beerdigung zugegen zu sein, falls er stirbt.« Der Sultan verliess sie, ohne ihr zu antworten.

Ein anderes Mal trat er wieder ein und traf seine Frau in Thränen aufgelöst. Und er sprach zu ihr: »Was weinst Du, meine Frau?« Sie erwiderte: »Ich möchte zu meinem Vater gehen, damit ich ihn vor seinem Tode noch sehe.« Da packte er das zur Reise Nötige zusammen und gab es seiner Frau, um zu ihrem Vater zu reisen; ferner gab er ihr sieben Sklaven und das zur Begräbnisfeier Erforderliche mit.

Am nächsten Morgen brach sie auf, begab sich dorthin und traf ihren Vater in der Vorhalle, im Koran lesend. Er sagte: »Weshalb kommst Du, hast Du Dich mit Deinem Mann gezankt?« Sie erwiderte: »Ich habe Nachricht bekommen, Du seiest krank, und ich bin gekommen, um Dich zu besuchen.« »Da ist nichts Wahres dran«, sagte er, »ich bin gesund.« Sie ging nun hinein in's Haus und setzte sich nieder. In demselben Hause war aber ein junger Sklave, den sie liebte. Sie verbrachte sieben Tage daselbst, ohne dass ihr Mann einen Brief noch eine Antwort ihrerseits erhielt.

Am achten Tage steckte ihr Mann hundert Realen zu sich, wickelte sie in sein Lendentuch ein, bestieg sein Pferd und begab sich zu seiner Frau. Am Abend gelangte er in die Nähe der Stadt, band sein Pferd im Walde an, nahm ein kurzes Lendentuch heraus, band es sich um und steckte das Geld in dasselbe. Dann legte er alle Kleider ab, band sie in ein Bündel zusammen und nahm einen Stock zur Hand. Als er an der Thüre anlangte,[174] rief er hodi, und man antwortete: »Wer ruft da hodi?« »Ich bin es«, erwiderte er, »ein Sklave der Herrin, ich komme von ihrem Manne.« »So komm herein«, erwiderte man, »damit Du Deine Herrin siehst.«

Als er eintrat, sah er, wie seine Frau mit dem Sklaven zusammen sass; da wurde ihm plötzlich alles klar. Seine Frau hatte ihn nicht erkannt und sie fragte: »Was giebt es Neues dort, von wo Du herkommst?« Ihren Manne aber hatte dies zu sehr erbost, er holte seinen Stock hervor, schlug sie und zerriss ihr die Kleider. Sie schrie und rief: »Dieser Sklave wird mich töten.« Es kamen eine Menge Leute hinzu und auch ihr Vater; dieser sprach: »Wer mein Kind schlägt, ist des Todes, bringt mir seinen Kopf her, damit ich ihn sehe. Wenn Ihr das nicht thut, werde ich Euch umbringen lassen.«

Sie banden ihn, schlugen ihn sehr und schleppten ihn bis zum Walde, um ihn dort zu töten. Er sprach zu ihnen: »Ich werde Euch Geld geben, thut mir nichts zu Leide.« Sie erwiderten: »Du Lügner, wo hast Du Geld herbekommen?« Er sprach: »Löst mir die Stricke, ich werde Euch Geld geben.« »Das ist eine Lüge von ihm,« sprachen sie untereinander, »wenn Ihr ihm die Fesseln abnehmt, wird er sich schleunigst davonmachen.« Er erwiderte jedoch: »Bleibt nur bei mir stehen, einer möge mich sogar bei der Hand halten, damit ich nicht entlaufe.« Sie hielten ihn bei der Hand und er gab ihnen sein Geld, Darauf sagten sie ihm: »Laufe weit weg, damit Dich der Sultan nie wieder zu Gesicht bekommt.« Das Geld teilten sie unter sich.

Dann gingen sie hin, kauften eine Ziege und schlachteten sie. Das Messer brachten sie zum Sultan[175] und sagten: »Es ist mit seinem Blute bespritzt, diesen Sklaven haben wir abgethan.«

Dieser aber hatte sich schnell entfernt, sein Pferd erreicht und kehrte nach Hause zurück. Als er unterwegs war, kam er an das Haus seines leiblichen Bruders und er sprach zu ihm: »Es ist Krieg über meine Stadt hereingebrochen und ich wurde gefangen genommen, jedoch entkam ich; gieb mir jetzt Leute, damit ich mich zum Kriege rüsten kann und meine Leute in meine Stadt zurückführe.« Sein Bruder erwiderte jedoch: »Du warst reich, weisst Du, nun was arm ist? Hebe Dich weg von hier, ich will nicht, dass Du hier bleibst, auch gebe ich Dir keine Leute.« Dann jagte er ihn mit dem Stocke weg und er ging seiner Wege.

Nun begab er sich zu einem Freunde und sprach: »Ich bin in meiner Stadt überfallen worden, es ist mir nichts dort übrig geblieben.« Sein Freund weinte sehr und liess alsbald die Kriegstrommel schlagen. Alle seine Leute strömten zusammen, seine Brüder und ihre Sklaven und er sagte zu ihnen, dass sein Freund in einem Kriege grosse Verluste erlitten habe. Die Leute folgten ihm alle, bis sie in seine Stadt gelangten; aber sie fanden die Stadt unversehrt, es war auch nicht ein einziger Mann gefallen.

Er selbst veranstaltete nun ein sehr grosses Festgelage und gab den Leuten, die mit ihm gekommen waren, sehr viel Geld. Danach gingen die Leute ihrer Wege. Sein Freund sprach jedoch zu ihm: »Du sagtest, Deine Stadt sei mit Krieg überzogen worden und doch ist sie nicht bekriegt worden?« Er erwiderte: »Später sollst Du alles erfahren, ich will mich erst von den Schlägen, die ich erhalten habe, erholen, morgen werde ich es Dir sagen.«[176]

Da kam seine Frau zurück und er fragte: »Meine Frau, was giebt es Neues dort, wo Du herkommst? Geht's unserm Vater wieder gut? Erzähle mir, wie es gekommen, dass Du so lange geblieben bist.« »Ich habe mich bei meinen Geschwistern aufgehalten, dann traf ich unterwegs einen Löwen, der mich verfolgte und meine Kleider zerrissen hat, und nun, mein Mann, gieb mir Ersatz für die Kleider, die zerrissen wurden.« Er erwiderte: »Sie sind zerrissen, das ist gleich.« Und er zeigte sich den Leuten, die mit ihm gekommen waren, gegenüber sehr freigebig und gab ihnen ausserdem noch besondere Geschenke. Am Abend schrieb er seiner Frau den Scheidebrief, dass sie ihn verlassen solle; auch das, was ihm in ihrem Hause widerfahren, teilte er ihr mit.

Am nächsten Morgen wählte er einige Leute aus, um seine Frau nach ihrer Heimat zurückzubringen; auch gab er ihr einen Brief, den sie selbst mitnehmen sollte. In demselben schrieb er ihrem Vater: »Ich bin nicht Dein Schwiegersohn, Dein Schwiegersohn ist Dein Sklave, der bei Dir im Hause ist; mich wolltet Ihr töten, doch hat mich mein Geld errettet; Deine Tochter, von der ich geschieden bin, sende ich Dir jetzt zurück, ihr Brautgeld habe ich ihr zurückgegeben.«

Der König ärgerte sich sehr, als er diese Botschaft erhielt, und fragte seine Frau: »Hattest Du Kenntnis von dieser Sache?« Sie erwiderte: »Ich weiss von nichts.« Da sprach er: »Du warst doch auch im Hause, wo warst denn Du, dass Du nichts davon weisst?« Und er liess beide, seine Frau und seine Tochter, fesseln und jenen Sklavenjungen gleichfalls; dann wurden alle in einen Sack gethan und ins Meer geworfen.[177]

Und jener, der die drei Worte verkauft hatte, erhielt ein Sultanat und wurde ein grosser Mann, alle Armut blieb ihm fern.

Das sind so die Geschichten der Frauen.

1

In den obern Saum des Lendentuchs wickeln die Suaheli meist ihr Geld ein.

Quelle:
Velten, C[arl]: Märchen und Erzählungen der Suaheli. Stuttgart/Berlin: W. Spemann, 1898, S. 172-178.
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