Ursprung der Zauberei.

[257] Ein wohlhabender Mann hatte sein gutes Essen, schöne Kleider, ein hübsches Heim, wo er sein Haupt niederlegen konnte, vortreffliche Sklaven, viel Geld im Hause und eine schöne Frau; und seine Nachbarn wussten, dass er all diese Dinge besass. Sie hielten Rat und sprachen: »Dieser Mensch brüstet sich mit seinem Reichtum, es ist besser, wir geben ihm einen Zaubertrank, damit er krank werde und Angst bekomme, seine Frau wird dann schon das Geld unter die Leute[257] bringen, um ihrem Mann Heilmittel bereiten zu lassen, andere können jenes Geld besser verwenden.«

Sie gaben jenem Mann ein Zaubergift, so dass er erkrankte. Sofort begab sich die Frau zu jenen neidischen Menschen, damit sie ihre Gegenmittel zubereiteten. Dies Zaubergift ist nun folgendes: Wenn Jemand gestorben ist, wird er begraben. Am dritten Tage gehen jene Zauberer hin und graben ihn wieder aus seinem Grabe aus. Sie tragen ihn in den Wald und schneiden ihn in Stücke; jeder einzelne nimmt sich einen Teil Von dem Fleische jenes Menschen. Dann nehmen sie Kräuter, die sie genau kennen, und jeder röstet nun sein Fleisch und die Kräuter, bis beides verbrannt ist; dann mischen sie die Asche und stellen sie beiseite.

Wenn sie nun jemand bezaubern wollen, passen sie auf, wenn dieser ausspuckt, dann nehmen sie den Speichel und thun ihn in ihre Töpfe zusammen mit jener Asche und mischen beides entweder in der Nähe jenes Grabes, oder unter grossen Bäumen; ebendaselbst vergraben sie auch ihre Zaubermittel.

Die Frau ging nun hin, einen Zauberer zu rufen, und sprach zu diesem: »Bitte treibe den bösen Geist aus meinem Manne, ich werde Dich dafür belohnen.« Sie einigten sich in betreff des Lohnes und veranstalteten zunächst eine Ngoma. Der Zauberer sprach zu dem vom Teufel Besessenen: »Laufe schnell bis zum Walde und falle unter dem Affenbrotbaum nieder.« Er that so und sie hoben ihn auf und er kehrte nach Hause zurück.

Als er in's Haus eintreten wollte, lag der Zauberer auf der Thürschwelle; der Kranke trat auf ihn und ging dann in's Haus, um sich niederzulegen.[258]

Am nächsten Tage morgens kam der Zauberer und machte dem Kranken dreissig Einschnitte mit dem Rasirmesser und bestrich dieselben mit Arznei. Dann machten sie so und so viele Tage lang Ngoma. Am letzten Tage, als der böse Geist ganz den Kopf des Kranken füllte, wurde dieser von dem Zauberer gefragt: »Wer bist Du, Geist des Berges?« Er antwortete: »heka«, und alles, was er sprach, war kimassai1. Darauf trank der Kranke Blut von einer Ziege und der böse Geist entwich. Die Leute scherzten und unterhielten sich, Frauen und Männer, bei Trommel- und Flötenspiel; sie tanzten fröhlich und vergnügt und bestrichen sich mit einer ganz wie Blut so roten Farbe, ngeu genannt, die sie mit Fett gemischt hatten, vom Kopf bis zu den Füssen. Ueberall, wo der Kranke sich an jenem Tage zeigte, sagte man zu ihm: »Bezwinger des bösen Geistes.«

Nachdem der böse Geist entwichen war, sprach der Zauberer zu den Leuten: »Nach einem Jahre muss eine Ngoma sieben Tage lang gefeiert werden und der Kranke muss Ochsenblut trinken. Nach weiteren zwei bis drei Jahren ist noch einmal eine Ngoma von sieben Tagen nötig und der Kranke muss dann Taubenblut trinken; alsdann ist keine weitere Ngoma mehr nötig.«

Der Zauberer brach nun auf, nahm seinen Lohn mit und alle Dinge, die er sich von dem Kranken erbeten hatte. Alles das, was er und seine Begleiter wegschleppten, dazu die Unkosten der Ngoma und das Essen für die Leute betrug mehr als zweihundert Rupien.

Dies ist der Ursprung der Zauberei und das pflegt auch heute noch so zu sein. Wenn jemand erkrankt,[259] pflegt man zu sagen, »er ist an Zauberei erkrankt, er wird nur dann gesund werden, wenn er ebenfalls von einem Zauberer, wie der war, welcher ihn bezauberte, behandelt wird.«

1

Sprache der Massai vom Kilimandjaro.

Quelle:
Velten, C[arl]: Märchen und Erzählungen der Suaheli. Stuttgart/Berlin: W. Spemann, 1898, S. 257-260.
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