104. Entstehung des Kuckucks.

[167] Der Gjon und die Kjükje waren Bruder und Schwester und hatten noch einen Bruder, der gleichfalls Gjon hieß. Einst trat dieser zu seiner Schwester, als diese gerade mit ihrer Schere hantierte; sie war aber so in ihre Arbeit vertieft, daß sie ihn nicht bemerkte. Da fuhr sie plötzlich mit ihrer Schere aus, und diese traf den Gjon gerade ins Herz, sodaß er daran sterben mußte. Über seinen Tod betrübten sich aber seine Geschwister so sehr, daß der Gjon in den Vogel gleichen Namens, die Kjükje aber in den Kuckuck verwandelt wurde; und von da an ruft der Gjon des Nachts seinen Bruder beim Namen: »Gjon! Gjon!« Der Kuckuck aber bei Tage: »Ku? ku?« Das heißt auf deutsch: »Wo bist du?«

Es heißt aber auch, daß die Schwester in keinen Kuckuck, sondern in die blaue Blume verwandelt worden ist, welche Kuckucksblume heißt. Wenn nun die Weiber eine solche Blume im Felden finden, dann singen sie also:


Kuckuck, Kuckuck. Aberkuckuck!

Sahst du mich?

Sahst du dich?

Sahst du deinen Bruder Gjon,

Als sie ihn schlachteten wie den Ochsen?

Blut im Löffel,

Fleisch im Becher,

Gib mir deine beiden Hände.


Darauf hält die Frau die beiden flachen Hände an die Blume, und diese legt von selbst ihr Köpfchen auf sie.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 167-168.
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