49. Die Lubi und die Schöne der Erde

[216] Es war einmal ein Wlache, der war sehr reich, er hatte viele Schäfereien; bei dem kam einst ein König vorbei, und er nahm ihn auf so gut er nur konnte. Die Frau des Wlachen war in Hoffnung, und in der Nacht, wo der König dort war, gebar sie einen Sohn. Der König sagte zu dem Vater, er möge den Sohn viele Sprachen lernen lassen, gab ihm auch ein Kreuz und sprach dazu: »Wenn der Junge fünfzehn Jahr alt ist, gib ihm das Kreuz und sag ihm, er solle in die und die Stadt gehen und mich aufsuchen.« Darauf ging der König fort, und der Wlache tat, wie ihm der König gesagt hatte.

Als der Junge viele Sprachen gelernt hatte und fünfzehn Jahr geworden war, gab ihm der Vater das Kreuz. Der Sohn las die Schrift, die darauf stand, die lautete: »Ich bin der König, der dich über die Taufe gehalten hat, geh und such mich an dem und dem Orte auf.« Darauf sagte er seinem Vater: »Soundso schreibt mir ein König, und ich werde gehen«, und der Vater ließ ihn ziehen mit einem Begleiter. Unterwegs wurde der Bursche hungrig und stieg hinab in eine Schlucht, wo eine Quelle war, um dort zu essen. Er beendete seine Mahlzeit, der Begleiter aber war hoch oben stehengeblieben mit einem Stein in der Hand und sagte zu ihm: »Zieh deine Kleider aus und gib sie mir; zieh du meine[216] an und schwöre mir, daß du mich an niemand verraten willst.« Darauf antwortete der Bursche: »Wenn ich gestorben und wieder lebendig geworden bin, erst dann werde ich dich verraten.« Der Begleiter bestieg das Pferd, sie wechselten die Kleider und gingen zu dem König. Als der das Kreuz sah, erkannte er, daß das der Knabe sei, den er über die Taufe gehoben hatte, nahm ihn bei der Hand und ging mit ihm hinauf. Der Bursche aber blieb unten beim Gesinde und redete mit jedem in seiner Sprache.

Nun stellte sich der Begleiter krank, der König kam und fragte ihn, was ihm fehle, und er antwortete: »Es geht mir schlecht.« – »Was können wir für dich tun?« – »Ich möchte Kohl von dem, den die Lubi bewacht.« Darauf sagte der König: »So viele andre Könige, mächtiger als ich, sind schon danach gegangen und konnten ihn nicht erlangen.« Der Kranke antwortete: »Sag dem Burschen, der unten ist, er solle gehen, und wenn er nicht will, drohe ihm.« Da befahl der König dem Burschen: »Du mußt an den und den Ort gehen, du magst wollen oder nicht, und eine Kohlstaude holen.« Der Begleiter des Burschen wußte nämlich, daß er nicht zurückkehren würde, wenn er nach dem Kohl ginge. Der Bursche weinte Tag und Nacht und wußte nicht, was er machen sollte. Eines Nachts sah er im Schlafe einen Alten, der sagte zu ihm: »Mein Junge, weine nicht, sondern nimm zwölf Lasten Honig und zwölf Lasten Milch und geh um Mittag an den Ort, wo die Lubi ist, denn um die Zeit schweift sie herum und ist nicht bei ihrem Nest.« Da verlangte der Bursche vom König, was der Alte ihm gesagt hatte und machte sich auf zu dem Ort. Unterwegs begegnete ihm der Alte, den er im Schlaf gesehen hatte und sprach zu ihm: »Komm gesund an, mein Sohn, und wenn du hinkommst, kehre die Höhle, die du da findest, und den Honig und die Milch mische mit Erde; dann verstecke dich irgendwo. Wenn die Lubi kommt, wird sie die Hälfte essen, dann aus der Höhle herauskommen und zu dir sagen: Wer mir dies Gute angetan hat, der soll herauskommen, daß ich ihn[217] sehe. Wenn sie das gesagt hat, tritt hervor und sage: Ich bins. Darauf wird sie dich fragen: Was kann ich dir Gutes tun für das Gute, das du mir getan hast? Und du antworte: Ich möchte eine Kohlstaude. Sie wird dann sagen: Statt einer nimm so viele du willst. Du nimm dann die drei größten, und iß sie selber, denn sie sind sehr gut für die Gesundheit, und wenn du auf dem Rückwege bist, komm bei mir vor, ich gebe dir dann eine für den Kranken.« Der Bursche tat, wie ihm der Alte gesagt hatte.

Am Nachmittag kam die Lubi; man konnte sie schon von weitem hören an dem Lärm, den sie mit ihrem Schwanze machte. Als sie die Hälfte gegessen hatte, kam sie heraus und rief: »Wer mir dies Gute getan hat, soll herauskommen.« Darauf trat der Bursche hervor und sagte: »Ich bins«, und alles geschah, was der Alte gesagt hatte. Als sie gute Freundschaft geschlossen hatten, sagte die Lubi zu dem Burschen: »Du kannst ohne Furcht gehen, wohin du willst.« Der Weg führte dort nämlich zum Hause der Schönen der Erde. Der Bursche nahm nun die Kohlstauden und machte sich auf den Rückweg; unterwegs traf er den Alten, und der gab ihm die Kohlstaude, die er versprochen hatte. Damit kam der Bursche zu dem König zurück und übergab sie ihm.

Der Kranke aß sie und wurde gesund, nach einigen Tagen aber stellte er sich wieder krank, und als der König fragte: »Womit kann ich dir helfen?« antwortete er: »Ich möchte die Schöne der Erde, schicke wieder den Burschen aus.« Darauf sagte der König: »So viele Könige sind danach gegangen und nicht wiedergekommen.« Der Kranke aber sagte, man soll dem Burschen drohen, daß er gehe. Der weinte und wußte nicht, was anfangen. Wiederum erschien ihm der Alte im Schlaf und sagte: »Weine nicht, sondern fordere vom König tausend Lämmer, vier Widder, hundert Lasten Weizen, hundert Lasten Honig und zehn Besen, und dann geh. Dort sind vier Löwen, zwei bewachen das äußere Tor, die beiden andern das innere, auch sind Adler, Ameisen und Bienen da. Du mußt zu Mittag ankommen; schlachte[218] die Lämmer und wirf sie den Adlern vor; den Weizen wirf aus, wo die Ameisen sind, den Honig, wo die Bienen sind, und wenn du an die Tore kommst, wirf die vier Widder den Löwen vor, dann geh ohne Furcht hinein, kehre aber die Mauern ab, denn sonst stürzen sie zusammen und töten dich; wenn du endlich an die Zimmertür kommst, dann kehre auch die ab. Wenn die Tiere gegessen haben, werden sie dich alle fragen, was sie dir Gutes tun sollen für das Gute, das du ihnen getan hast. Dann verlange von den Löwen ein Haar, von den Bienen, den Ameisen und den Adlern je eine Feder.« Der Bursche tat, wie ihm der Alte gesagt hatte.

Nachdem die Tiere gegessen hatten, riefen sie alle: »Komm hervor, daß wir dich sehen, der uns dies Gute getan hat«, gaben ihm ein Haar und drei Federn und sprachen: »Wenn du etwas von uns wünschest, brenne das Haar oder die Federn an, und wir kommen zu dir.« Der Bursche nahm Haar und Federn und ging während er die Mauern und die Tür kehrte, in das Zimmer der Schönen der Erde. Bald darauf kam sie inmitten von elf Mädchen und fragte den Burschen: »Wer bist du? Was willst du hier?« Er antwortete: »Ich bin ein Mann, siehst du mich nicht? Ich bin gekommen dich mitzunehmen.« Da lachte sie und sagte: »So viele andre sind gekommen und konnten mich nicht erlangen.« Damit ging sie hinaus, rief die Löwen und sprach zu ihnen: »Warum habt ihr den Mann hereingelassen?« Sie antworteten: »Du hast uns immer faules Fleisch vorgeworfen, und das auch nur wenig, der hat uns aber jedem einen Widder hingeworfen.« Darauf sagte sie zu den Adlern: »Warum habt ihr den Mann hereingelassen?« Die antworteten: »Du hast uns niemals etwas zum Essen vorgeworfen, und der jedem von uns ein Lamm.« Dann fragte sie die Ameisen und Bienen: »Warum habt ihr den Burschen hereingelassen?« Die Bienen antworteten: »Du hast uns ein bißchen ausgenommene Wabe hingeworfen, er aber Honig«, und die Ameisen antworteten: »Du hast uns ein paar Brocken verschimmeltes Brot hingeworfen, er hat uns[219] Weizen gegeben.« Endlich fragte sie die Türen und Mauern, warum sie den Burschen hineingelassen hätten, und die antworteten: »Du hast uns niemals gekehrt, und er hat uns gesäubert.«

Darauf sagte die Schöne der Erde zu dem Burschen: »Laß uns drei Wetten machen; wenn du sie gewinnst, sollst du mich bekommen.« Der Bursche sagte zu. »Die erste Wette soll sein: ich mische in einem Haufen Weizen, Gerste und Erde durcheinander, und du mußt sie in einer Nacht wieder trennen.« Er antwortete: »Ich trenne sie.« – »Die zweite Wette: du sollst gehen und in den beiden Bergen, die sich öffnen und schließen, das lebenweckende Wasser holen.« Er antwortete: »Ich gehe.« – »Die dritte Wette: ich verberge mich unter den elf Mädchen, wir alle verhüllen uns mit einem Tuch, und wenn du mich herausfindest, kannst du mich nehmen.« – »Gut«, antwortete der Bursche.

Bei der ersten Wette brannte er die Feder an, die ihm die Ameisen gegeben hatten; die kamen gleich hervor, und er fragte sie: »Könnt ihr in einer Nacht einen Haufen Weizen, Gerste und Erde bereinigen, so daß jedes für sich kommt?« Sie antworteten, das könnten sie. Da legte sich der Bursche schlafen, stand am anderen Morgen früh auf und fand den Haufen bereinigt, alles getrennt liegend. Als er das sah, legte er sich wieder hin und schlief. Als die Schöne der Erde aufgestanden war, ging sie, ihn zu wecken; er aber sagte: »Laß mich schlafen, ich habe die ganze Nacht keinen Schlaf bekommen.« Nachher kam sie wieder zu dem Burschen und sagte zu ihm: »In einer Wette hast du mich besiegt, nun laß uns zu der andern sehen.« Dazu brannte der Bursche die Adlerfeder an, und die Adler kamen herbei. Zu denen sagte er: »Ich möchte, daß ihr geht und das lebenweckende Wasser holt aus den beiden Bergen, die sich öffnen und schließen; ihr müßt euch aber am Mittag dort einfinden, denn dann bleiben sie eine halbe Stunde offen.« Darauf nahm er einen Krug, und sie gingen. In der Nähe der Berge nahmen die Adler den Burschen auf die Flügel und brachten[220] ihn hinein, er füllte den Krug, und sie kehrten so zu der Schönen der Erde zurück. Am nächsten Tage brannte er die Feder an, die ihm die Bienen gegeben hatten, sie kamen gleich alle herbei, und er fragte sie: »Wie soll ich es machen zu erkennen, welches die Schöne der Erde ist, während sie unter andern elf Mädchen ist.« Darauf antwortete die vornehmste Biene: »Mögen sie auch verhüllt sein, ich setze mich oben auf das Kopftuch der Schönen der Erde, du ergreifst sie, läßt sie aber nicht los, denn nachher würde auch ich sie nicht wiederfinden.« Darauf kamen die Mädchen alle verhüllt heraus und stellten sich zum Reigen auf, der Bursche ergriff die, auf der die Biene saß und ließ sie nicht wieder gehen. Da mußte sie ihn zum Manne nehmen; sie brachen auf und gingen zu dem König; der gab aber die Frau dem Kranken, und der Bursche saß wieder unter dem Gesinde.

Am nächsten Tage sagte der Kranke zu dem König, man solle den Burschen töten. Der König wollte nicht, da ging er selbst, während der Bursche seinen Mittagsschlaf hielt, und tötete ihn. Die Schöne der Erde erfuhr es, stieg selbst hinab, fragte, wer ihn getötet habe, und einer vom Gesinde, der den Burschen sehr gern hatte, verriet es ihr. Da ließ sie ihn auf ihr Zimmer bringen, öffnete ihm den Mund, flößte ihm das lebenweckende Wasser ein, und der Bursche wurde wieder lebendig. Darauf eröffnete er dem König, wer er wirklich war und erzählte alles, was er von seinem Begleiter auf dem Wege hierher erlitten hatte. Da ging der König vor die Stadt, wo vier Bäume nahe beieinander standen, ließ die Zweige herunterbiegen und Hände und Füße des Begleiters daran binden; dann ließ man sie los, und er wurde in vier Stücke zerrissen.

Nach einiger Zeit rüstete sich der Bursche, Vater und Mutter zu besuchen; ehe er aufbrach, übergab er der Frau des Königs einen Rock, den er der Schönen der Erde weggenommen hatte und sagte: »Gib ihn ihr ja nicht, ehe ich wieder da bin.« Eines Tages stellten sich die Mädchen zum Reigen auf, die Schöne der Erde wollte aber nicht tanzen, sondern verlangte,[221] man solle ihr ihren Rock geben. Da gingen alle Mädchen zur Königin und baten sie darum, sie wollte aber nicht. Darauf nahm die jüngste der Mädchen ihr ihn heimlich weg. Als die Schöne der Erde den Rock hatte, rief sie: »Lebt wohl! wenn mein Mann kommt, sagt ihm, er werde mich nicht eher finden, als bis er drei Paar eiserne Schuhe aufgetragen hätte.« Als der Bursche nach Hause kam, berichteten sie ihm die Worte, die seine Frau gesagt hatte. Da kaufte er drei Paar eiserne Schuhe und machte sich auf, sie zu suchen. Als er die Schuhe aufgetragen hatte, ging er nicht weiter, sondern machte ein Wirtshaus auf, wo alle Reisenden essen und trinken konnten ohne zu zahlen, nur fragte er alle, was sie unterwegs gesehen hätten. Einer von ihnen antwortete: »Auf meinem Wege rollte mir ein Fäßchen in eine Schlucht, ich ging es zu holen und sah, wie sich zwölf Mädchen in einem Teiche badeten.« Da ging der Bursche mit dem Manne und der zeigte ihm den Ort. Während nun die Mädchen badeten, nahm er heimlich den Rock und verbrannte ihn an einem Feuer, das sie angezündet hatten, um ihre Kleider zu waschen. Als nun der Schönen der Erde ihr Rock verbrannt war, konnte sie nicht mehr fortgehen, und sie kehrten zusammen zu dem König zurück, denn ihre ganze Kraft war in dem Rocke gewesen.

Quelle:
Leskien, August: Balkanmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1915, S. 216-222.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Bunte Steine. Ein Festgeschenk 1852

Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.

230 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon