Der Sohn verzieh dem Vater.

[346] In alter Zeit war es in einer Stadt Gebrauch gewesen, dass, wenn der Herr des Hauses alt wurde, der Sohn ihn zu nehmen hatte, um ihn fortzuführen und im Wasser zu ertränken. Einem Burschen wurde der Vater alt, er sagt zu seinem Vater: »Komm mit mir, weil die Zeit gekommen ist, dich im Wasser zu ertränken.« Der arme Alte geht, der Sohn führt ihn auf einen Hügel, um ihm den Stoss zu geben und ihn ins Wasser zu stürzen. Der Alte sagt zu ihm: »Ich bitte dich, mein Sohn, ertränke mich nicht an diesem Orte, denn auch ich habe meinen Vater hier an diesem Orte ertränkt.« Als der Bursche diese Rede hörte, dachte er nach, sagte zu sich selbst: »Auch er hat seinen Vater ertränkt, und wie auch ich ihn jetzt ertränke, ertränkt mich auch mein Sohn.« Und so verzieh er seinem Vater und ertränkte ihn nicht. Und darauf hörte die ganze Stadt die Begebenheit dieses Alten und man schwor, die Alten nicht mehr zu ertränken.

Quelle:
Jarník, J. U.: Albanesische Märchen und Schwänke. In: Zeitschrift für Volkskunde in Sage und Mär [...] 2 (1890). Leipzig: Frankenstein und Wagner, S. 346-347.
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