[56] 15. Der Einsiedler und sein Hund

Vor vielen Jahrhunderten lebte in einer fernen und abgelegenen Gegend ein Mann ganz allein in Gesellschaft eines starken Hundes.

Eines Tages ging er auf die Jagd, nachdem er dem Hunde den Schutz seiner Hütte anvertraut hatte. In dem Walde fand er ganz unerwartet prächtige Pflanzungen von Kassawa und anderem.

Sein erster Gedanke war: »Wer hat dies alles für mich bereitet?« Und da er in dem ganzen Lande das einzige menschliche Wesen war, hatte er wohl Grund, sich so zu fragen; denn für wen würde man es gemacht haben, wenn nicht für ihn?

Er verbarg sich hinter einem Baum im Gebüsch. »Vielleicht,«[56] sagte er sich, »wird ein Unbekannter hierher kommen, um zu arbeiten, und für mich wird dies ein großes Glück sein, einen so ausgezeichneten Wohltäter kennen zu lernen.«

Kaum hatte er sich versteckt, als er den Hund kommen sah, seinen treuen Genossen, der zu seiner großen Verwunderung das Fell abwarf und sich in einen Menschen verwandelte. Darauf machte sich dieser an die Arbeit, und nachdem er sein Tagewerk getan hatte, zog er das Fell wieder an und verwandelte sich von neuem in einen Hund. Dann wandte er sich zur Hütte zurück.


15. Der Einsiedler und sein Hund

Der Mann folgte dem Hund und tat, als wenn er gar nichts gesehen habe. Das war klug gehandelt. An einem anderen Tag besuchte er dieselben Pflanzungen und wählte ganz nahe einer Höhle einen Platz zum Schlafen und für seine Arbeit. Er machte dort Feuer an, um Kassawa zu bereiten.

Wie immer hatte er seinem Hunde befohlen, beim Haus Wache zu halten. Trotzdem folgte ihm dieser heimlich. Der Mann, der sich schlafend stellte, hatte ganz nahe bei sich einen Korb gelegt, in dem die Frauen Feldfrüchte einzuholen pflegen. Der Hund kam an, warf sofort das Fell ab, wurde von neuem Mensch und machte sich an die Arbeit. Ohne das geringste Geräusch zu machen, nahm der Mann das Fell, steckte es in den Korb und trug diesen weit weg in den Wald, wo er ihn in einem großen Feuer verbrannte. Zn Zukunft blieb der Hund oder besser gesagt die Hündin das, was sie war, d.h. eine Frau, die sich niemals mehr verwandeln konnte.

Wie es sich gehörte, wurde diese Wohltäterin die Gattin des einstigen Einsiedlers und die Mutter einer zahlreichen, sehr berühmten Familie.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 56-57.
Lizenz:
Kategorien: