[138] 43. Jaguar und Blitzstrahl

[138] Der Jaguar traf den Blitzstrahl, der gerade eine Keule machte. Der Jaguar kam von hinten, und der Blitzstrahl merkte es nicht. Der Jaguar sprang auf den Blitzstrahl los, faßte ihn aber nicht. Er glaubte, es wäre ein Tier und wollte es fressen. Der Jaguar fragte den Blitzstrahl, ob er Kraft hätte. Der Blitzstrahl antwortete, er habe gar keine Kraft. Da sagte der Jaguar: »Ich bin nicht so wie du! Ich habe riesige Kraft!« Er sagte zum Blitzstrahl: »Schwager, sieh her! Ich breche alle Äste. Ich habe sehr viel Kraft!«

Der Jaguar erkletterte einen Kaimbe-Baum und brach alle Äste ab. Dann erkletterte er einen Parika-Baum und brach alle Äste ab. Dann stieg er auf den Boden herab, riß alles Gras aus und zerwühlte die Erde mit den Krallen, um zu zeigen, wie große Kraft er hätte. Dann hörte er auf, ermüdet. Er schwitzte und sagte: »F-f-! Siehst du, Schwager, so bin ich! Ich habe Kraft! Ich bin nicht so wie du!« Er wollte den Blitzstrahl fressen. Dann sagte er: »Jetzt will ich deine Kraft sehen! Mache es so, wie ich es gemacht habe!« Der Blitzstrahl antwortete: »Ich bin nicht so wie du! Ich habe keine Kraft!« Da sagte der Jaguar wieder: »Sieh wieder her auf mich! Ich habe Kraft!« Er machte es wie vorher, riß Äste ab, riß Gras aus, zerwühlte die Erde weithin. Dann hörte der Jaguar auf und setzte sich neben den Blitzstrahl mit dem Rücken nach ihm hin.

Als er sich gesetzt hatte, nahm der Blitzstrahl seine kleine Keule und schwang sie einmal. Da kam Donner, Blitz, Sturm und viel Regen. Der Jaguar lief voll Angst weg und stieg auf einen Baum. Aber der Blitzstrahl zerschlug alle Bäume, und der Jaguar fiel auf die Erde. Der Blitzstrahl faßte den Jaguar an den Beinen und warf ihn weit weg. Der Jaguar lief weg und verkroch sich unter einen Fels.[139] Da zerschlug der Blitzstrahl alle Felsen. Der Jaguar erstieg wieder einen Baum. Da zerschlug der Blitzstrahl alle Bäume. Dann kroch der Jaguar in die Höhle des Riesengürteltiers. Aber der Blitzstrahl war hinter ihm her und zersprengte alle Erde. So lief der Jaguar immer wieder fort, versteckte sich hier und dort, aber der Blitzstrahl zerschlug alles, Bäume, Felsen und Erde. Der Blitz krachte ihm vor den Ohren. Dann wurde es vom Regen und Wind sehr kalt. Der Jaguar fror so, daß er nicht mehr laufen konnte. Als der Blitzstrahl sah, daß der Jaguar ganz zusammengerollt dalag, weil ihm alles wehtat, ließ er von ihm ab. Er sagte zu ihm: »Siehst du, Schwager, so bin ich! Ich habe auch Kraft! Du bist es nicht allein, der Kraft hat! Du hast wenig Kraft! Ich habe mehr als du!« Dann sagte er zum Jaguar: »Gut, Schwager! Jetzt gehe ich weg!« Er ging weg und ließ den Jaguar liegen. Dann ging auch der Jaguar weg nach seiner Wohnung. Deshalb hat er bis auf den heutigen Tag solche Angst vor dem Gewitter.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 138-140.
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