[186] 65. Der Raub des Feuers

Das Feuer war früher im Besitz des Königsgeiers. Die Tembe trockneten das Fleisch, das sie essen wollten, nur in der Sonnenhitze. Die Tembe beschlossen, dem Königsgeier das Feuer zu rauben, und töteten zu diesem Zweck einen Tapir. Sie ließen ihn liegen, und nach drei Tagen war er verfault und voll Maden. Der Königsgeier kam mit seiner Sippe herab. Sie zogen ihre Federkleider aus und hatten nun Menschengestalt. Sie hatten einen Feuerbrand mitgebracht und machten[186] damit ein großes Feuer an. Sie sammelten die Maden, wickelten sie in Blätter und brieten sie. Die Tembe, die sich versteckt gehalten hatten, stürzten nun herbei, aber die Geier flogen auf und brachten das Feuer in Sicherheit. So bemühten sich die Indianer drei Tage lang vergebens. Dann machten sie eine Jagdhütte bei dem Aas, und ein alter Medizinmann versteckte sich darin. Die Geier kamen wieder und machten ihr Feuer dicht bei dem Jagdschirm. »Dieses Mal, wenn ich rasch zuspringe, bekomme ich einen Feuerbrand,« sagte sich der Alte. Als die Geier ihre Federkleider abgelegt hatten und Maden brieten, sprang er hervor. Die Geier stürzten nach ihren Federkleidern, und unterdessen riß der Alte einen Brand an sich; das übrige Feuer sammelten die Vögel auf und flogen damit fort. Der alte Medizinmann tat nun das Feuer in alle die Bäume, aus deren Holz man heute Feuer bohrt.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 186-187.
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