Der Zwerg mit der rothen Mütze.

[181] In der kleinen Stadt Melnik an der Elbe lebte vor langer Zeit ein armer Mann, mit Namen Franz Wesely, welcher seinen kargen Unterhalt dadurch erwarb, daß er für jene, welche des Schreibens nicht kundig waren, Briefe an ihre entfernten Freunde und Verwandte für geringen Lohn schrieb, wovon er freilich nur schmale Bissen essen konnte. In einer Nacht zwischen 11 und 12 Uhr lag Meister Franz mit seiner Frau im[181] Bette, welche schon fest schlief, als die Thüre der Kammer sich öffnete und ein kleines Männchen von etwa zwei Fuß Höhe eintrat, welches eine rothe Mütze auf dem Kopfe und einen langen Stab in der Hand trug; um den Hals hieng ihm an einer Schnur eine breite Tasche. Der Kleine fieng an beim Scheine des Nachtlichtes herum zu springen und gar wunderliche Capriolen zu machen; er stützte sich dergestalt auf seinen Stock, daß er sich mehrmals über das breite Ehebett hin und her schwang und jedes Mal, wenn er über den armen Schreiber wegflog, fragte er: »Willst du Geld?«

Als sich Meister Franz endlich von seinem Erstaunen erholt hatte und mit »Ja!« antwortete, nahm der Zwerg einige Geldstücke aus seiner Tasche, streute sie um das Bett herum und verschwand mit den Worten: »Ein andermal mehr!«

Der Schreiber suchte die Geldstücke zusammen, sie sorgfältig aufbewahrend, ohne seiner Frau etwas davon zu sagen und der freigebige Zwerg kam durch mehrere Nächte mit den nämlichen Geberden, Worten und Handlungen wieder; aber in der vierten Nacht erwachte die Frau, als Meister Franz eben beschäftigt war, mit der Nachtlampe das Geld zusammen zu lesen, und auf ihre Frage gestand der Schreiber den ganzen Verlauf. Apollonia war eine sehr andächtige Frau und konnte nicht Ruhe finden, bis ihr Mann zur Beichte gieng; aber der Pater schüttelte mit dem Kopfe bei seiner Erzählung und wollte ihm nicht die Absolution ertheilen, bis er das verdächtige Geld zu frommen Werken verwendet habe, worauf Meister Franz sich im Gewissen und Säckel erleichtert fühlte. Aber der Zwerg hatte das Mißtrauen über die Maßen übelgenommen, und als er in der nächsten Nacht wieder kam, fragte er gar nicht[182] mehr, ob Franz Geld wolle, sondern schlug mit seinem langen Stabe so stark und gewaltig auf den Schreiber los, als man es von einem so kleinen Kerl wohl nimmermehr erwartet hätte, wobei er immer fort schrie:

»Ein andermal sei wieder mißtrauisch!«

Des Schreibers fürchterliches Geschrei erweckte schier die ganze Nachbarschaft, nur seine Frau blieb an seiner Seite in tiefem Schlafe liegen und ächzte, als hätte sie schwere Träume. Erst als der Zwerg wieder verschwunden war, erwachte sie und fand den ohnmächtigen Mann neben sich im Bette. (Gebhardt, S. 214.)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 181-183.
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