Der Zauberstab

[17] Ein biederer Bauersmann hatte sich ein wenig zulange im Wirtshaus bei Kaffee und Bier aufgehalten. Beim Heimgehen war er daher derart angeheitert, daß er den Schloßherrn, dem er zufällig begegnete, beleidigte. Dieser ließ in seinem Zorn den Bauern festnehmen und ins Gefängnis werfen. Einige Tage darauf setzte er ihn wieder in Freiheit und sagte zu ihm: »Ich gebe dir acht Tage Zeit, um das Spiel ›Trinkmal‹ zu erfinden; wenn du es nach Ablauf dieser Zeit nicht erfunden hast, wirst du gehängt.« »Aber gnädiger Herr, zuerst müßte ich doch wissen, was Ihr unter dem Spiel ›Trinkmal‹ versteht?« »Ich lasse dir in dieser Beziehung jegliche Freiheit! Alles, was ich verlange, ist, daß du mich mit diesem Spiel einmal recht herzlich lachen machst. Nun geh heim und erfinde, was du willst.« Der Bauer verbrachte sieben Tage mit Nachgrübeln, aber er fand nichts, was den gnädigen Herrn zum Lachen bringen könnte. »Ich bin verloren,« sagte er, »wenn es mir nicht gelingt, zu entfliehen. Ich will mein Dorf verlassen und mich in die Pikardie retten.« Gesagt, getan. Der Mann nahm seinen Karren, als ob er aufs Feld zur Arbeit ginge, warf seinen Rock über den[17] Arm und verließ das Dorf, ohne daß jemand Arg daraus hatte. Gerade als er in die Pikardie kam, begegnete ihm ein altes runzliges Weib, welches sich auf einen dicken Knotenstock stützte und ihn fragte: »Wohin gehst du mit diesem Karren?« »Liebe Frau, ich verlasse mein Dorf, um dem Galgen zu entgehen, der auf mich wartet. Ich habe das Pech gehabt, meinen gnädigen Herrn und Meister zu beleidigen, und zur Strafe hat er mich verurteilt, entweder in acht Tagen ein gewisses Spiel ›Trinkmal‹ zu erfinden, das Gott verdamme! oder mich am Galgen des Schlosses baumeln zu sehen.« »Ah so! Das Spiel ›Trinkmal!‹ Ich weiß, was das ist ... und ohne Zweifel bedauerst du es sehr, deine Frau Katharina drunten lassen zu müssen?« »Bei Gott, ja! Das ist mein größter Kummer!« »Du hast unrecht. Du hast unrecht. Deine Frau tut seit drei Monaten nichts anderes, als dich mit dem Dorfpfarrer betrügen. Jedermann weiß es, nur du bist der einzige, der nichts weiß!« »Das ist unmöglich!« »Doch, doch, es ist, wie ich dir sage. Kehre in dein Dorf zurück und du wirst selber darüber urteilen können.« »Aber der gnädige Herr?« »Mach dir keine Sorgen! Nimm diesen Zauberstab und bediene dich seiner im geeigneten Augenblicke. Du brauchst nur zu sagen: ›Stäbchen, laß gut halten!‹ und du kannst alles machen, was du willst. Behüt dich Gott!« Die Alte wanderte weiter, während der Bauer in sein Dorf zu rückkehrte.

Dort angekommen, trat er durch den Garten in sein Haus und hatte acht darauf, daß er nicht gesehen würde. Darauf versteckte er sich auf dem Speicher, nachdem er zuvor ein kleines Loch in den Boden gebohrt hatte, durch welches er alles sehen und hören konnte. Der Pfarrer kam alsbald. »Guten Tag, Katharina! Man sagt, dein Mann sei in die Fremde gegangen. Das trifft sich gut. Wir wollen zu Bett gehen!« »Plaudern wir erst ein wenig!« »Nein, nein, später, das taugt besser!« Und der Pfarrer legte sich mit der Frau ins Bett. Aber bald darauf mußte er sich erheben, um das Nachtgeschirr zu benutzen. »Stäbchen, laß gut halten!« sagte[18] der Bauer, der alles mit angesehen hatte. Der Zauber tat seine Wirkung. »Katharina, Katharina!« sagte der Pfarrer, »ich weiß nicht, was das ist. Ich kann das Geschirr nicht losbringen.« »Wartet, ich will Euch helfen!« Die Frau erhob sich und berührte das Gefäß. »Stäbchen, laß gut halten!« sagte der Bauer wiederum. Darauf nahm er einen dicken Prügel in die Hand, stieg vom Speicher herab und jagte seine Frau und den Pfarrer vor sich her; beide waren im Hemd und hatten die Hand am Nachttopf kleben. Das Liebespaar bat um Gnade. »Laß mich ins Pfarrhaus zurück, ich gebe dir tausend Taler!« sagte der Pfarrer. »Nein, nein, nicht ins Pfarrhaus, sondern ins Schloß! Ich habe das Spiel ›Trinkmal‹ erfunden, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn mein gnädiger Herr und Meister sich nicht die Seiten halten muß vor Lachen beim Anblick dieses sauberen Paares. Vorwärts, marsch!« Und mit stärkeren Schlägen trieb er seine Gefangenen ins Schloß. Ein kleiner Bursche kam gerade vorbei mit einem Korb voll gelber Rüben. Er warf eine davon nach dem Rücken des Pfarrers. »Stäbchen, laß gut halten!« sagte der Bauer. Und die Rübe blieb dem Pfarrer auf dem Rücken haften. Eine Kuh ging vorüber, sah es und wollte die Rübe fressen. »Stäbchen, laß gut halten!« sagte der Mann mit dem Zauberstab wiederum. Und die Kuh folgte dem Paar. Man kam in die Nähe des Schlosses, als ein Stier die Kuh bemerkte und heraneilte, um sie zu bespringen. Der Bauer brauchte nur zu sagen: »Stäbchen, laß gut halten!« und der Stier mußte der Gesellschaft folgen. »He! He! Mein gnädiger Herr!« rief der Bauer im Hofe des Schloßherrn, »kommt schnell und schaut! Ich habe das Spiel ›Trinkmal‹ erfunden.« Der Schloßherr lief herbei und glaubte vor Lachen bersten zu müssen, als er das eigenartige Spiel sah, das der Bauer erfunden hatte. Der Pfarrer und die Frau wurden mit Schimpf und Schande aus dem Lande gejagt und der Mann wurde nicht nur in Gnaden wieder aufgenommen, sondern auch bald darauf zum Aufseher beim Schloßherrn ernannt.

Quelle:
FR-Märchen Bd.2, S. XVII17-XIX19.
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