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[365] Árn. II, S. 538/9.
Einst sagt ein Priester in seiner Predigt, dass nichts besser sei wie Freigebigkeit, denn dem guten Geber würde siebenfach vergolten. Ein armer Bauernbursche hört diesen Ausspruch.[365] Trotz des Protestes seiner alten Mutter nimmt er die einzige Kuh, die sie besitzen, und bringt sie dem Priester, der natürlich über diese unerwartete Gabe hocherfreut ist. Nun verlaufen sich zufällig einige Zeit nachher die Kühe des Priesters zur Hütte des Bauernburschen, und sowie dieser sie sieht, sperrt er sie in seinen Stall und sagt freudestrahlend seiner Mutter, dass die Predigt sich bewahrheitet hätte. Denn nun hätten sie sieben Kühe für eine bekommen. Der Hirte des Priesters, dem diese Kühe fehlen, kommt auch auf der Suche nach ihnen zu dieser Hütte. Der Bursche erklärt, nichts von ihnen zu wissen. Zu seiner Mutter seien nur die sieben Kühe gekommen, die sie ja für ihre weggegebene Kuh hätten erwarten dürfen. Und diese würde er auf keinen Fall wieder herausgeben. Der Priester schickt vergeblich einen Knecht nach dem andern zum Bauernburschen, schliesslich macht er sich sogar selbst auf den Weg. Allein auch er empfängt keinen andern Bescheid und wird mit seinen eigenen Predigtworten abgespeist. Endlich bricht der Priester die Unterhandlung ab und erklärt, derjenige solle die Kühe zum Eigentum bekommen, der am folgenden Morgen zuerst dem andern »guten Tag« sagen könne. Der Bursche schleicht sich nun in der Nacht schon zum Gehöfte des Priesters und legt sich unter dessen Schlafzimmerfenster nieder. Gegen Morgen hört er, wie der Priester seiner Haushälterin zuruft, ob es nun nicht an der Zeit sei, nach Jerusalem zu reiten? – – – Einige Zeit nachher tritt der Priester aus dem Hause. In diesem Augenblick läuft der Bursche auf ihn zu und wünscht ihm »guten Tag«. »Bist du schon früh hierhingekommen?« fragt der Priester. »Ja, gerade als Ihr nach Jerusalem rittet«, sagt der Bursche. Auf diese Antwort hin darf er die Kühe behalten, muss aber über das Gehörte Schweigen geloben.
Mit diesem isländischen Schwank stimmt in den Hauptzügen ein dänisches Märchen überein (Kamp VI »Den gavmilde Præst« S. 75 ff.). Hier handelt es sich um zehn Kühe, da der Priester gesagt hatte, dem guten Geber würde zehnfach vergolten. Der Bursche klettert durch den Rauchfang nachts in das Haus des Priesters, sieht diesen gegen Morgen zur Haushälterin gehen und an die Türe klopfen mit den Worten,[366] dass nun der Papst nach Rom reise. Über diese Entdeckung erschrocken, läuft der Bursche fort und lässt sich vom Priester zuerst den »guten Tag« zurufen. Wie der jedoch nun die Wette für gewonnen hält, erklärt er ihm, schon so zeitig im Hause gewesen zu sein, dass er den Papst habe nach Rom reisen hören.
Von der Predigt und dem daraus erfolgenden Missverständnis erzählt auch das folgende isländische Märchen vom Meisterdiebe. Hier hofft der Bauer sogar tausend Kühe für seine einzige Kuh, die er dem Priester schenken will, erwarten zu dürfen. –
Im sizilianischen Märchen (Gonz. 47) »Von dem frommen Jüngling, der nach Rom ging« (I, S. 310 ff.) verschenkt ein einfältiger Bursche alles, was er besitzt, weil der Pfarrer von der Kanzel gesagt hat, dass wer in des Herrn Namen den Armen etwas gibt, es hundertfach wieder erhalten wird. Der gute Geber erwartet in diesem Märchen jedoch nicht die Belohnung vom Priester, sondern vom Christusbilde in der Kirche, das ihn zu seinem reichern Bruder nach Rom schickt. – Schon bei Pauli findet sich dieser Schwank, allerdings nicht mit dem obscönen Schlüsse des isländischen und dänischen Märchens (Pauli CCCXXIV, S. 204/5). Eine Frau hört hier den Priester reden, dass derjenige, der eine Kuh oder etwas Ähnliches fortschenken würde, dieses hundertfach vergolten bekäme. Dem Priester wird nun die einzige Kuh geschenkt. Nach einiger Zeit bindet der Priester die fremde Kuh mit seiner eigenen zusammen und treibt sie auf die Weide. Statt dass nun des Priesters Kuh mit der andern, wie er geglaubt hatte, zu ihm heimkehrt, führt die fremde Kuh das Tier des Priesters zum Gehöfte ihres Bauern. Dieser behält die beiden Kühe und erklärt dem Priester, dass der Herrgott ihm noch achtundneunzig weitere Kühe schuldig sei. Sie gehen miteinander vor das Gericht, wo dem Bauern dann die beiden Kühe zugesprochen werden.