[554] 1129. Die Burgfrau von Burglinster.

A. Unfern des Behlenhofes (Gemeinde Junglinster) befindet sich in einem Walde eine sehr tiefe Höhle, Behlenhöhle genannt. Noch kein Mensch soll bis ans Ende der Höhle gedrungen sein. Früher, heißt es, seien viele böse Menschen dort hinein verwünscht worden.

Vor etwa hundert Jahren lebte auf der alten Burg von Burglinster eine alte, reiche Dame, namens Ziedewitz.1 Sie war Eigentümerin des Schlosses und aller ringsum liegenden Güter. Alle Bauern der Umgegend mußten ihr den Zehnten der jährlichen Ernte geben, und wer dem nicht nachkam, wurde in den noch heute gut erhaltenen, unterhalb des Schlosses stehenden runden Turm eingesperrt. Als die Dame schon sehr alt war und nicht mehr gehen konnte, sagte sie eines Tages zu ihrem Kutscher: »Kutscher, spann die zwei schwarzen Rappen an und fahre mich zur Behlenhöhle.« Der Kutscher fuhr mit ihr zur Behlenhöhle. Unterwegs schrie sie manchmal laut auf und murmelte dann Worte, die der Kutscher nicht verstand, und befahl ihm, die Pferde nur schneller anzutreiben. Als sie an der Behlenhöhle angekommen waren, hieß sie den Kutscher heimkehren und das Schloß in Brand stecken; sie müsse in der Höhle bleiben. Von der Stunde an hat niemand mehr etwas von ihr gesehen noch gehört. Man sagt, sie sei eine böse Hexe gewesen, die sich, da sie auf Erden nicht mehr leben konnte, unter der Erde ein neues Schloß gebaut habe.


B. Die Burgfrau von Burglinster, deren Mann Kommandant in Luxemburg war, herrschte mit Willkür auf ihrem Schlosse. Man erzählt, vor der Burg habe eine Linde gestanden und unter dieser ein Pfahl mit einem eisernen Halsband. Wäre nun der Burgfrau etwas abhanden gekommen, sei ein Wald- oder Feldfrevel begangen worden, so habe der Schuldige, je nach der Laune der Gebieterin, einen halben oder einen ganzen Tag mit dem Ring am Halse an dem Pfahle zubringen müssen. Die Sage fügt hinzu, die Edle sei in Luxemburg gestorben und nach Junglinster begraben worden. Unterwegs sei aber die Leiche so schwer geworden, daß die vier Rappen am Totenwagen vom Schweiß weiß geworden und zuletzt nicht mehr fortgekommen wären; da hätten mehrere Männer die Leiche von der »Itziger Steil« bis nach Junglinster tragen müssen. Nach dem Tode der Burgfrau habe die Dienerschaft auf dem Schlosse öfters ein Rauschen von Seidenzeug im breiten Schloßgange vernommen.


Lehrer Brandenburg zu Burglinster


C. Nahe dem Hertcheswald bei Weiher (Gemeinde Fischbach) befindet sich eine alte Brücke, die von den Römern erbaut sein soll.[554]

Ein Schäfer, der eines Abends aus dem Hertcheswalde über die Brücke nach Hause zurückkehrte, hörte hinter sich: »O Mamm! o Mamm!« rufen. Er glaubte, es sei ein Kind, das sich verirrt habe, und rief ihm zu, es solle auf die Brücke herkommen. Er hörte nun noch ein paarmal denselben Jammerschrei; als er aber weiter nichts sah, setzte er seinen Weg fort.

Tags darauf erzählte er dies dem bei dem Walde wohnenden Müller. Dieser sagte ihm, er habe denselben Ruf auch schon früher gehört. Es sei aber kein Kind, sondern ein Fuchs, und dieser Fuchs sei ein Knabe, den die Hexe auf der Burg (zu Burglinster) wegen einiger Schelmstücke in einen Fuchs verwünscht habe. Dieser komme nun alle Monate einmal abends von sieben bis acht Uhr rufen: »O Mamm! o Mamm!«

1

Von Zitzwitz, Herren von Linster im 18. Jahrhundert.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 554-555.
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