19. St. Petrus.

[92] Als unser Herrgott noch auf Erden wandelte, ging er einmal durch ein schönes, weites Tal. Er war sonst allein, nur der heilige Petrus begleitete ihn. So wanderten sie den ganzen Vormittag; Christus sprach in Parabeln und der Apostel hörte zu. Als aber die Mittagsstunde gekommen war und es auf den Hütten zu Mittag läutete, da war dem St. Petrus die Aufmerksamkeit vergangen; denn die Magenuhr ließ ihm keine Ruhe mehr und der Hunger rief immer: »Es ist Zeit zum Essen.«

Der liebe Heiland merkte bald, wo seinen Jünger der Schuh drückte, und sprach zu ihm: »Siehst du da drüben aus dem Kamin den Rauch aufsteigen? – Es dampft und raucht so stark, daß wohl etwas Besseres dort gekocht wird. Geh hinüber und bitte die Bäuerin für dich und mich um einen Kuchen, denn es hungert uns.«

St. Petrus ließ sich das nicht zweimal sagen. Er ging zum Bauernhofe hin und fand die Bäuerin gerade in der Küche, wo sie Kuchen buk. Sie war ein gar mildtätiges Weib und gab dem bittenden Apostel anstatt zweier Kuchen ihrer drei.

Das gefiel dem Hungerigen und er dachte: »Den dritten kannst du für dich allein behalten.« Er nahm den dritten unter die Achsel und verbarg ihn.[93]

So kehrte er nun zum göttlichen Meister, der auf einem Steine saß und seiner harrte, zurück und zeigte ihm die zwei Kuchen. Der Heiland wußte wohl um den dritten, den Petrus verborgen unter der Achsel hielt, verlor aber kein Wort darüber. Er nahm den einen Kuchen und den andern ließ er dem Petrus. So aßen sie nun und stillten sich den Hunger. Als sie aber die Kuchen verzehrt hatten, sprach der göttliche Lehrer: »Der himmlische Vater hat uns gespeist, wir wollen ihm nun auch danken, und weil er heute mit uns besonders gut war, wollen wir mit ausgespannten Armen zu ihm beten.«

Christus kniete nun nieder, breitete seine Arme aus und betete. Und Petrus mußte es, weil es sein Meister tat, auch tun. Wie er aber die Arme ausbreitete, fiel der verheimlichte Kuchen zu Boden. Da wurde der Apostel vor Scham feuerrot. Und so wird es auch dir gehen, mein Kind, wenn du Dinge verheimlichst und sie dann aufkommen.


(Inntal.)

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911, S. 92-94.
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