21. Der Mesnersohn.

[103] Es war einmal ein Mesnersohn, dem beide Eltern gestorben waren und der nur eine einzige Schwester hatte. Er hieß Hans und war ein gar kecker und furchtloser Bursche, so daß er sich weder vor den Menschen noch vor den Geistern fürchtete. Nachts ging er nie nach Hause und ins Bett, sondern blieb auf dem Freithofe und schlief auf den Gräbern, die mit Schmehlen reich überwachsen waren, und wenn der Mond ihm recht blaß ins Gesicht schien oder die schwarzen Wolken am Himmel wild dahinjagten und der Wind an den Totenkreuzen recht rüttelte und schüttelte, wurde dem Hans erst wohl und er meinte, es könnte gar keine schönere Nacht mehr geben. Die Schwester sah dieses Treiben ihres Bruders ungern und bat ihn oft, er möchte doch nach Hause und ins warme Bett gehen und nicht immer bei den Toten schlafen, denn sonst könnte es ihm einmal übel gehen. Allein diese Reden schlugen an taube Ohren. Hans ließ sich nichts einreden und übernachtete auf seinen Gräbern.

»Warte nur,« dachte sich da die Schwester, »wenn du denn Worte nicht folgest, will ich dich zu fürchten machen.« Gedacht, getan.

Als es wieder nachtete, ging die Schwester in ihre Kammer, hüllte sich in ein windelweißes Leintuch und schlich sich auf den Gottesacker. Dort stellte sie sich zur Tränenweide, unter der Hans gewöhnlich schlief.[104] Sie wartete lange, bis endlich der Bruder kam, und glaubte, er würde sich nun fürchten. Hans hatte aber das Gruseln nie gelernt, besann sich nicht lange, nahm seinen Knittel auf und schlug den Geist maustot. – Alsdann schaute er, was das für ein Geist gewesen sei, und fand, o Schrecken! seine liebe einzige Schwester leblos und blutbefleckt zu seinen Füßen liegen. Er wußte sich nun weder Trost noch Rat und sah sich schon auf dem Rade. Der Boden brannte ihm unter den Füßen und er beschloß in die weite Welt zu wandern, um dem Gerichte und womöglich dem Gewissen zu entrinnen. – Er machte sich noch in derselben Stunde auf und ging, ohne zu rasten und ohne nur einmal rückwärts zu schauen, bis am andern Tage die Nacht herandunkelte und alles ins Schweigen und Träumen wiegte. – Da war Hans hungrig und müde und er ging in ein Wirtshaus, das am Wege stund und gar herrlich beleuchtet war.

Hans kam aber zu spät. Das Gasthaus wimmelte schon von Gästen und es war kein Bett und kein Fleck mehr zu haben.

»Hier ist kein Platz mehr,« sprach der Wirt, »das Haus ist vollgestopft wie eine magere Wurst. Hier kannst du keine Herberge mehr finden.«

»Ist hier in der Nähe auch nirgends ein Nachtlager zu haben?« forschte der Ermüdete.

»Nein,« antwortete der Befragte, »es steht mein Wirtshaus hier mutterseelenallein. Da drüben das Schloß wäre wohl ganz leer und du hättest darin Platz genug, allein ich will es früher sagen: es geistert in den Sälen. Schon mancher ließ es sich nicht wehren und schlief drüben, allein morgens fand man noch jeden tot.«

»Pah, was geistern!« fiel Hans dem Wirt in die Rede, »die Geister scheren mich nicht. Will mal sehen, was die da drüben treiben.«[105]

Er ließ sich vom Wirte nun eine Flasche Wein, einen Weck Brot, ein Spiel Karten geben und verlangte aufs Geisterschloß zu gehen.

Der Wirt trug ihm zwei Lichter voran, führte ihn in ein schönes, hohes, aber etwas altertümliches Zimmer, stellte dort den Armleuchter auf den Tisch und ging wieder fort.

Hans war nun allein und ganz guter Dinge, er trank und aß und spielte für sich, gab aber immer die Karten für zwei Spieler aus und spielte auch für den Abwesenden. So ging es bis zwölf Uhr. Als es auf dem Turme der Schloßkapelle mit dumpfen Klängen zwölf Uhr schlug, klopfte es stark an der Türe des Zimmers.


»Herein, was Hosen sein,

Weiber sollen draußen bleiben,«


rief Hans mit starker Stimme.

Kaum hatte er dies gesagt, so öffnete sich die Türe und ein weißer Geist trat ein und verneigte sich vor dem Spieler. Als Hans dieses sah, stund er voll Freuden auf, bot dem Fremdling einen Sitz an und lud ihn ein mitzuspielen. Der Geist nickte stillschweigend und spielte, ohne ein Wort zu verlieren.

So hatten sie einige Zeit gespielt, da klopfte es wieder an der Türe.


»Herein, was Hosen sein,

Weiber sollen draußen bleiben,«


antwortete Hans. Auf diese Worte öffnete sich die Türe und es kam wieder ein Geist und trug einen schweren, schweren Sack auf der rechten Achsel. Schweigend winkte der Ankömmling dem Hans, er möchte ihm doch abhelfen. – Der Mesnersohn sprach aber: »Ich habe dir nicht aufgeholfen, ich helfe dir auch nicht ab.«

Trotzig warf nun der Geist den schweren Sack auf die Erde, daß die Dielen zitterten und die Wände bebten. Hans verzog zum[106] bösen Spiele kein Miene und wartete neugierig der Dinge, die da kommen würden. Der zweite Geist setzte sich nun auch zum Tische und spielte mit den zweien.

Nachdem er einige Zeit lang gespielt hatte, stund er auf und winkte dem Hans wieder, er möchte ihm den Sack aufhelfen.

Der gute Hans gab ihm aber wieder zur Antwort: »Ich habe dir nicht abgeholfen, ich helfe dir auch nicht auf.« – Da winkte der Geist wieder, Hans solle ihm das Geld, das im Sacke war, zählen helfen. – Hans machte es aber wie früher und sagte: »Ich hab's nicht hineingezählt, ich zähl's nicht heraus.«

Wie Hans das gesagt hatte, waren die Geister erlöst, übergaben ihm das Geld und das Schloß und verschwanden wie der Rauch bei heiterem Himmel.

Hans war nun ein reicher Mann und legte sich froh und glücklich aufs Bett und schnarchte bis zum späten Morgen.

Als die Morgensonne schon in das Tal gekommen und die Vögel ihr Morgenlied sangen, dachte sich der Wirt: »Ich muß doch sehen, wie's dem Burschen im Schlosse geht«, und ging hinüber im festen Wahne, ihn tot zu finden. Wie groß war aber das Staunen, als er den Hans frisch und gesund im Bette fand und ihm dieser die ganze Geschichte der verflossenen Nacht erzählte.

Hans war nun reich wie ein Fürst und wohnte einige Jahre auf dem Schlosse, das er sich stattlich herbauen ließ. Endlich wurde ihm dieses einsame Leben da droben zu langweilig und er beschloß weiterzuwandern und die Welt anzuschauen. Er kaufte sich nun ein stolzes Reitpferd und schöne Kleider und ritt in die Ferne.

Eines Abends kam er auf seinen Wanderzügen in eine große, prächtige Stadt, in der ein König wohnte. Es war aber in den weiten Gassen und in den schönen Palästen gar öde und traurig; denn[107] nirgends wurde gelacht oder gesungen und die Leute gingen herum mit gar trüben und ernsten Gesichtern. Ritter Hans fragte um die Ursache dieser allgemeinen Trauer und hörte, die Königstochter müsse heute dem Drachen vorgeworfen werden.

Hans war, als er dieses erfahren hatte, nicht faul, ging zum Könige und fragte ihn, was er ihm geben wollte, wenn er seine Tochter befreien würde.

»Meine Tochter selbst!« rief freudig der König, dem ein unerwarteter Hoffnungsstrahl, daß seine wunderschöne Tochter vielleicht noch gerettet werden könnte, durchs betrübte Herz zuckte.

Hans war mit dem Preise einverstanden, machte tödliche Knödel und ging zur Höhle des Drachen. Dort warf er sie dem Ungetüme vor und dem Wurme schmeckte die süße Kost so, daß er aß und aß, bis er tot zusammenstürzte.

Hans eilte nun zum Könige, brachte ihm die Drachenzunge und wurde wie ein Sohn vom alten Herrscher aufgenommen und umarmt. Er hätte nun die Königstochter heiraten und mit sich nehmen sollen, allein er sprach: »Ich will mich noch in der Welt umsehen, und wenn ich nach einem Jahre wiederkomme, werde ich die schöne Prinzeß zum Altare führen.«

Hans kehrte nun wieder auf sein Schloß zurück und baute und ordnete dort oder ging pirschen und jagte in den Wäldern Hirsche und Rehe. Es gingen Tage und Wochen vorbei und dem Hans gefiel das Leben und Treiben so wohl, daß er die Königstochter beinahe vergaß. Das Jahr war fast zu Ende, da dachte er sich: »Ich muß doch mein Wort halten und die Braut holen,« und machte sich auf den Weg zur Königsstadt. Als er in die Stadt kam, sah er in allen Ecken und Enden nur fröhliche Gesichter und überall waren Bereitungen zu großen Festlichkeiten getroffen. Hans konnte sich das[108] alles nicht erklären und fragte einen, der ihm begegnete, was das alles zu bedeuten hätte.

»Ja,« ward ihm erwidert, »die Königstochter hat Hochzeit und deshalb triumphiert alles so.«

»Die Königstochter Hochzeit!« sprach Hans stille bei sich, »wenn dem so wäre, müßte ich doch auch etwas davon wissen,« und wollte in die Burg und zum Könige.

Wie der König den Retter seiner Tochter sah, von dem er dreihundertfünfundsechzig Tage kein Wörtchen mehr gehört hatte, stund er ganz verduzt und wie versteinert da.

Hans konnte an den Mienen des Königs lesen, daß er hier zu spät gekommen sei, und sagte zum Könige, er wolle seine Ansprüche auf die Prinzeß fahren lassen, wenn er ihm viel Geld geben würde.

Der König war über diesen Antrag ganz getröstet und gab ihm so viel Gold, daß es Hans fast nicht fortbringen konnte. Der Mesnersohn kehrte nun in sein Schloß zurück und war der Reichste im ganzen Lande.


(Meran.)

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911, S. 103-109.
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