3. Der heilige Zeno.

[3] Vom Dorfe Schleuis aus führt nach dem hochgelegenen Orte Ladir ein stark betretener Fußweg, und zwar beim Schlosse Löwenberg vorbei, durch Wies und Wald sich schlängelnd. – Ungefähr Mitte Wegs liegt im Walde ein Steinblock, 1 Meter lang, 2/3 breit und 1/2 hoch, auf dessen Oberseite zwei Vertiefungen sichtbar sind, wie wenn ein Mensch in dieser Steinmasse gekniet hätte. – An diesen Stein knüpft sich eine Legende des heiligen Zeno.

Bekanntlich ist die Kirche zu Ladir dem heiligen Zeno geweiht. Nach der Sage soll er einstens diese damals noch wilde Berggegend bereist und den noch heidnischen Bewohnern das Evangelium mit solchem Eifer gepredigt haben, daß diese zur großen Mehrzahl das Christenthum annahmen. Der Heilige blieb nun in Ladir, und in seiner Ehre weihten die Gläubigen in Ladir (Ladurs 998) ein Gotteshaus. Der Heilige blieb nun in Ladir lange Zeit und ging von dort aus thalein, thalaus, das Evangelium zu verkünden.

Nun war aber der böse Geist neidisch auf die Erfolge des Heiligen und trachtete darnach, wie er das Bekehrungswerk desselben hemme, womöglich sogar die Gläubigen wieder in's Reich der Finsterniß ziehe. Aber zu tief war der Glaube an den Erlöser eingewurzelt,[3] als daß mit List das heilige Werk vernichtet werden konnte. Satanas mußte zur Gewalt die Zuflucht nehmen.

Eben war der Bau des Gotteshauses zu Ladir begonnen, so dachte der Geist der Finsterniß, dieses Werk der Gläubigen zu vernichten, holte vom Rheinbette herauf einen großen Stein, den er den Wald hinauftrug und mit dem er die Kirche zu zertrümmern gedachte. – Unterwegs ruhte er aus, legte die Last neben sich und sich unter eine Tanne.

Wie er nun rastete, kam der heilige Zeno den Wald herab, um in der Ebene zu predigen. Alsbald den Bösen erblickend, und an der Anwesenheit des großen, niemals an dieser Stelle gelegenen Steinblockes das Ansinnen des Satans erkennend, kniete er auf diesen Stein nieder, betete, und benahm dem darob ergrimmten Luziferus die Macht, den Stein weiters zu heben, bezwang sogar durch sein Gebet den Bösen, die Gegend zu verlassen und auch ihn, den Heiligen, und seine Gläubigen fürder in Ruhe zu lassen.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 3-4.
Lizenz:
Kategorien: