1. Das Hahnen-Ei.

[84] Um das Jahr 1730 hatte der Jann Fausch, der auf dem Stutze bei Seewis im Prätigau wohnte, einen großen kohlschwarzen Hahn.

Dieser Hahn hatte im Hennenstalle ein Ei gelegt, und brütete Dasselbe in einem Winkel, den Hausleuten, welche sämmtlich einfältige Leute waren, unvermerkt, ziemlich lange.

Endlich als einmal der Hennenstall ausgemistet werden sollte, und der Hahn gewaltsam aus seinem Winkel herausgerissen werden mußte, fanden sie erst das Ei unter ihm. Dasselbe Ei war jedoch viel größer, als ein Hennen-Ei, kugelrund, ganz grau, mit blauen Tupfen.[84]

Der Hahn wollte durchaus auf sein Ei zurück, aber die Weibspersonen im Hause, Mutter und Töchter, verwehrten ihm das.

Das erboste Thier kratzte furchtbar um sich, und hackte ganz muthig mit seinem spitzen Schnabel drein.

In diesem Kampfe zwischen Hahn und Weibern, »trolte« (rollte) das Ei hervor, aus dem Hennenstalle, fiel auf den Boden, und bekam einen Riß. Es floß ein klein Wenig aus dem Ei, das verbreitete aber einen solch abscheulichen Gestank, der dann kaum nach Wochen zu vertreiben war.

Dieses Ei nahmen sie auf eine »Bächt«-(Kehricht-) Schaufel, trugen es vorsichtig hinter den Stall, und zerbrachen es mit der Schaufel. – Sie fanden, daß ein Wurm darin gewesen, fingerslang, kohlschwarz, welcher, wiewohl sie mit der Schaufel ihn zerstückelten, in Stücken noch sich krümmte.

Nachdem der Jann Fausch heimgekehrt, und die sonderbare Begebenheit vernahm, drehte er dem Hahn sogleich den Hals um, denn aus diesem Ei, welches eben nur ein schwarzer, siebenjähriger Hahn legt und ausbrütet, wäre ein Basilisk ausgeschlüpft.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 84-85.
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