15. Der Versöhnungsbaum

[105] Ein armer Fischer, welcher abends nie wußte, wie er am nächsten Tag sich und sein Weib erhalten solle, hatte schon die halbe Nacht hindurch sein Netz geworfen und wieder aufgezogen, ohne nur eine Flosse darin zu sehen; ja, er hatte dabei noch alle Not, um es nur immer wieder von dem Kot und Unrat zu reinigen, welchen er damit aufbrachte. Unmutig war er eben mit dieser Arbeit wieder fertig geworden und zog jetzt das Netz so[105] schwer herauf, daß er es kaum über die Wand seines Kahnes zu ziehen vermochte. Bevor er es aber auseinanderlegte, machte sich ein schwarzer, unkenntlicher Gegenstand, den er darin hatte, mit unglaublicher Schnelligkeit selber daraus frei, und plötzlich stand der Teufel vor ihm. Ohne viele Umschweife fragte ihn der Böse: »Was gibst du, was schenkst du mir, Alter, wenn ich dich reich mache, daß du dein Leben lang über und über genug hast?« Nach einigem Besinnen antwortete der Gefragte, der sich von seinem Schrecken wieder etwas erholt hatte: »Ich gebe dir dafür das Liebste, was ich zu Hause habe.« Hierbei dachte der Bauer weder an sein Weib noch an sein Kind, sondern nur an Gegenstände, die einer gewöhnlich sein eigen heißt: an seinen Hund oder seine Katze oder seinen Sonntagsrock. Der Vertrag wurde hierauf beschworen, und zwar so, daß der Fischer sogleich ungeheuer reich sein, seinerseits aber erst in sechzehn Jahren das, was er um diese Zeit am liebsten zu Hause haben werde, an einem besonderen Orte, den ihm der Teufel nachher noch näher bezeichnete, übergeben solle. Den geschlossenen Vertrag bekräftigte dieser alsbald mit einem unermeßlichen Haufen Goldes, welchen er jenem ins Netz warf, als er dieses wieder geworfen hatte. Wie der Fischer mit dickem Schweiß auf der Stirne den Schatz im Kahne hatte und sich nun nach seinem Helfer umsehen wollte, war von diesem bereits keine Spur mehr zu sehen. Hierauf warf der Glückliche schnell wieder aus und tat einen Zug, der eher noch schwerer war als der vorige. Von dem Gewichte des vielen Goldes ging der Kahn so tief ins Wasser, daß er kaum noch eine Spanne über dem Wellenspiegel stand. Jetzt warf er zum drittenmal aus und hatte kaum noch Kraft aufzuziehen; da er jedoch wieder nicht Fische, sondern lauter blanke Dukaten erblickte, so gab ihm die Habsucht Kraft. Er zog auch den dritten Fang in seinen Kahn, mußte nun aber, wenn er nicht samt seinen Schätzen ertrinken wollte, schleunig ans Land rudern.[106]

Mit Hilfe der Seinigen wurde bald der ganze Schatz in die armselige Hütte geschafft, welche gleich nach einigen Tagen verlassen und mit einem ansehnlichen Haus in der Stadt vertauscht wurde, wo die arme Fischerfamilie nunmehr in voller Zufriedenheit lebte. Der Sohn ging in die Schule und lernte fleißig, worüber der Alte sich sehr freute. Aus seinem Gedächtnis hatte die Zeit fast jeden Gedanken an den Vertrag, den er mit dem Teufel geschlossen, verwischt; hie und da nur kam es dem Greise trüb, und er wurde unmutig, so daß er in solchen Augenblicken seinen Sohn anfuhr, ja wohl auch mißhandelte. Dies klagte der Sohn einmal seinem Lehrer, und der wies ihn an, wenn sein Vater ihn wieder mißhandle, solle er ein Messer nehmen und ihm damit drohen, wenn er ihm nicht sage, weshalb er so oft von ihm mißhandelt werde. Der Sohn tat nach diesem Rat und ängstigte das nächste Mal, als sein Vater ihn mißhandelte, den alten Mann durch das gezückte Messer dermaßen, daß er ihm die Geschichte seines Vertrags mit dem Teufel bekannte. Er schloß mit den Worten: »Damals kam es mir freilich nicht in den Sinn, daß ich mich um mein eigenes Kind bringen würde; aber so wie die Worte des Vertrags lauten, kann der Teufel dich, meinen lieben Sohn, für sich verlangen und wird es auch ohne Zweifel tun.«

Als der Knabe dies vernommen hatte, eilte er voll Schrecken mit der Nachricht zu seinem Lehrer. Nach einigem Nachdenken riet ihm dieser, er solle sich geistliche Kleider machen und dieselben mit Kreuzen, soviel nur immer darauf gingen, schmücken lassen. So angetan, solle er sich an den Ort begeben, den ihm sein Vater als den vom Teufel bezeichneten angeben würde. Dies tat der Sohn. Als er seine über und über mit Kreuzen versehenen Kleider anhatte, trat er, da bereits die Frist im Anzug war, vor seinen Vater und fragte ihn nach dem Ort, wo der Teufel ihn finden würde. Nachdem ihm der Vater denselben bezeichnet hatte, nahm er Abschied und ging auf die Reise. Spät abends kam er in einen großen Wald, in welchem er[107] endlich nach langem Umhersuchen ein einsames, kleines Haus fand. Es schien unbewohnt, als er aber hineinging und darin herumstöberte, fand er in einem der Gemächer ein altes Mütterchen, welches er, da es schon völlig dunkel war, um Obdach und Nachtlager für diese Nacht bat. Es erwiderte: »Recht gerne, mein Lieber, nur fürchte ich, du wirst nicht ganz sicher hier sein, denn ich habe zwölf Söhne, die alle Räuber sind. Doch ich werde dich vor ihnen verstecken, denn wenn sie dich sähen, so brächten sie dich um.« Mit diesen Worten führte es ihn in die Küche und versteckte ihn im Backofen.

Als die Räuber nach Hause kamen, rochen sie, denn es waren die blutgierigsten Gesellen, die es auf Erden gab, daß außer ihnen noch ein Mensch im Hause sein müsse, und fragten ihre Mutter, wen sie hier versteckt halte. Die Gefragte suchte die Antwort mit ein paar Ausflüchten zu umgehen; als die mörderischen Söhne aber anfingen herumzusuchen und zu drohen, so sagte sie ihnen, wer da sei, brachte es aber durch ihr Bitten dahin, daß sie gelobten, dem Fremden nichts zuleide zu tun. Unter tausend Ängsten kam der Schützling der Alten endlich aus seinem Versteck hervor. Die Räuber verwunderten sich sehr über seinen geistlichen Anzug und fragten ihn aus, wer er sei, woher er komme, wohin er wolle. Er erzählte seine ganze Geschichte. Die Räuber hörten sie aufmerksam an und machten sich besonders darüber lustig, daß er so dumm sei und nicht erwarten könne, bis ihn der Teufel hole, sondern ihm freiwillig zulaufen wolle. Unter schallendem Gelächter bezeichneten sie ihm, als er fest darauf bestand, am andern Morgen seine Wanderung zum Teufel fortzusetzen, den Ort, wo die sogenannte Teufelshöhle sei, deren Inneres aber die Räuber, wie sie sagten, nicht kannten. Sie versprachen, ihm einen ihrer Gesellen mitzugeben, damit er seinen Gang nicht verfehle. Zuletzt sprach noch die Räubermutter zu ihm: »Mein Sohn, wenn du morgen zum Teufel gehst, so bitt ich dich, frag ihn, wie ein Mensch, der schon viele ermordet und erschlagen hat, seine Sünden[108] büßen kann. Solltest du glücklich wieder hierher zurückkehren, so sage uns dies, denn ich möchte gerne, daß meine Söhne von ihrem schrecklichen Treiben ablassen und fromme Menschen werden.«

Von einem Räuber geführt, machte sich am anderen Morgen der Jüngling auf den Weg nach der Höhle, die nicht sehr entfernt von dem Räuberhause lag. Nachdem er seinen Führer verabschiedet hatte, trat er hinein und kam vor eine verschlossene Tür, an die er klopfte. Augenblicklich tat sich dieselbe auf, und es fuhren mehrere Teufel heraus, welche ihn anschnurrten, was er wolle und wo er herkomme. Es war aber wohl zu merken, daß sie vor dem Fremden Scheu hatten, weil er geistliche Kleidung und so viele Kreuze darauf trug. Als er sagte, daß heute der Tag sei, an dem er vom Teufel übernommen werden sollte, erhoben sie ein unmäßiges, verworrenes Geschrei: »Geh nur, geh nur, wohin du willst, wir brauchen keine Pfaffen! Wir wollen keine Pfaffen!« Unter wildem Gelächter warfen sie darauf auch mit Kot und Unrat nach ihm. Hieran kehrte sich aber der Verhöhnte nicht, sondern sagte ganz gelassen; »Ei, so gebt mir ein Zeichen von eurem Meister, gebt mir ein Zeichen, daß er mich nicht braucht!« Darauf gingen zwei ins Innere der Höhle, um ein solches vom großen Teufel, ihrem Meister, zu holen; aber an ihre Stelle unter der Tür drängten sich sogleich wieder andere, um unter lautem Gelärme zu schauen, was es gebe. Bald erschienen die beiden ersten wieder mit einem Pergament in der Hand, auf dem verschiedene schwarze Zeichen standen; das gaben sie dem Fremdling so in die Hand, daß sie sich gegenseitig nicht berührten. Der Empfänger sprach hierauf zu den beiden Teufeln: »Sagt mir doch, wie kann ein Mensch, der vielen Mord und grausamen Totschlag auf dem Gewissen hat, solche Sünden büßen, daß sie ihm verziehen werden?« Hierauf antwortete einer der Teufel: »Wenn der Mörder den Prügel, mit welchem er den ersten Menschen erschlagen hat, in die Erde steckt und ihn mit Wasser, das er im Munde[109] herträgt, so lange begießt, bis er wächst, ausschlägt, Blätter und Blüten treibt und Früchte trägt, so ist dies ein Zeichen, daß ihm seine Sünden verziehen sind.« Mit dieser Antwort entfernte sich der Fragende, während ihm die Teufel unter wildem Hohngelächter Kot und Unrat nachwarfen, um sein Kleid zu besudeln. Wenn sie es getroffen hatten, wurde das immer die Veranlassung zum ausgelassensten Geschrei.

Der Jüngling hatte bald den Weg zu den Räubern zurückgefunden und erzählte ihnen, was ihm begegnet war, zeigte auch zur Bekräftigung der Wahrheit das Teufelspergament vor. Die Räuber verhöhnten ihn aber nur noch mehr, während das höllische Wahrzeichen von Hand zu Hand ging. Als nun der Jüngling der Alten erzählte, was ihm die Teufel wegen der Buße von Todsünden, von Mord und Totschlag gesagt hatten, verspotteten die Räuber ihn und ihre Mutter noch mehr; sie ließ sich aber dadurch nicht irremachen, sondern forderte von ihrem jüngsten Sohne den Prügel, mit welchem er seinen ersten Mord begangen hatte. Der Sohn gehorchte, brachte den Prügel und stieß ihn auf den Befehl seiner Mutter gerade vor dem Haus in die Erde. Alsdann gingen er und die Mutter zu der nächsten Quelle, brachten Wasser im Munde herbei und begossen damit das dürre Holz, die anderen fuhren dabei fort mit Spotten und Höhnen, bis sie sahen, daß an dem dürren, rindelosen Prügel plötzlich Knospen hervortrieben, aufsprangen und sich grüne Blätter daraus entfalteten. Nun lief einer um den anderen zur Quelle, brachte Wasser im Munde, und bald hatte der Mordprügel eine üppige Blätterkrone, darauf erschienen helle Blüten, an deren Stelle sich bald herrliche Früchte wiegten, goldenen Äpfeln gleich. Einer von den Räubern schüttelte den neuen Baum, da fielen einige von den Äpfeln herunter und sprangen entzwei, worauf aus jedem eine blendendweiße Taube gen Himmel flog.[110]

Diese wunderbare Begebenheit ergriff die Herzen der Räuber so gewaltig, daß sie auf die Knie fielen, um Vergebung ihrer Sünden zu Gott beteten und sich vornahmen, von Stund an ihr blutiges Handwerk aufzugeben, ja, sich selber dem Gerichte zur Bestrafung auszuliefern. Sie schlossen sich daher dem Jüngling an, als er in die Stadt zurückkehrte: voran die Alte, dann je nach dem Alter paarweise die Räuber, jeder mit einem Zweiglein von dem Wunderbaum und mit einigen der schönen Taubenäpfel.

Vor Gericht erzählte nun der Sohn des Fischers zuerst seine Geschichte, dann welche Auskunft er von den Teufeln erhalten habe, und zum Schluß das Unglaubliche von dem wunderbaren Baume der Versöhnung. Zum Beweis der Wahrheit seiner Aussage warfen auch einige der Räuber von den Äpfeln auf den Boden, worauf dieselben platzten und aus ihnen blendendweiße Tauben sich in die Luft schwangen. Nachdem so kundgeworden war, daß diesen Sündern verziehen sei, nahmen die Richter keinen Anstand, sie vollständig zu begnadigen, und sie gaben allen Beraubten die Schätze zurück, die sie in den Kellern unter ihrem Haus im Walde verborgen hatten.

Der Jüngling aber ging eilig zu seinem Vater und erzählte ihm alles, wie es sich zugetragen hatte, beurkundete auch durch des Teufels eigene Unterschrift, daß der schlimme Vertrag aufgelöst sei. Darob war natürlich der alte Fischer erfreut: er bewirtete drei Tage nacheinander die ganze Stadt, Arme und Reiche, aufs prächtigste bei sich, wobei jeden Tag zum Nachtisch den versammelten Gästen das Wunder mit den Äpfeln und den weißen Tauben gezeigt wurde, zu ihrem großen Erstaunen und Beifall. Nach dieser Begebenheit lebten Vater, Mutter und Sohn noch lange Zeit glücklich und zufrieden, verehrt von der ganzen Stadt und besonders von den ehemaligen Räubern, deren jeder ein ehrliches Gewerbe ergriffen hatte.

Quelle:
Schott, Arthur und Albert: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat. Bukarest: Kriterion, 1975, S. 105-111.
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