911. Der Elbst im Seelisberger See.

[277] 1. An den Höhen ob Seelisberg lebte in meeralter Zeit ein schädliches Gespenst. Die Alten nannten es Elbst. Endlich vermochte ein Beschwörer dasselbe in den See hinter dem Dörfchen zu bannen. Als der Elbst herab musste vom Gebirg ins Wasser, da trollte er sich in Gestalt einer feurigen Kugel herunter. Im nassen Element war der Elbst ebenso ungnädig als früher. Weh, wer ihm zu nahe kam oder gar neckend rief.[277]

2. Ein übermütiger Wütrich auf der Kulm wurde von einem Geist über die Fluh in das Seeli gestürzt und erscheint daher bald als Kapuziner, bald als brennender Heubusch, bald als Schwein.

3. Auf den Alpen der Seelisbergerkulm hausten einige übermütige und liederliche Sennenbuben. Ein Feuerball hat dieselben in das Seeli hinuntergestürzt und da hausen sie jetzt als Gespenster, die, wenn es ander Wetter geben will, bald als Baumstamm, bald als Fisch erscheinen.

4. Gegenwärtig (d.h. 1863) reden die Seelisberger gewöhnlich von dem grossen geheimnisvollen Fisch im See, der sogar einen Mangel an kleinen Fischen verursache, die er meistens aufzehre. 1863 wollte aber ein Mann am Seeli den Fisch, der sich seit sieben Jahren nicht mehr gezeigt hatte, ähnlich einer roten Sau gesehen haben und machte eine greuliche Beschreibung von demselben. Maria Zwyssig sagte (1863), nach der Sage sei ein Gespenst in den See gebannt, welches bald als Fisch, bald als Heuburde, bald als Busch oder als roter Kegel erscheine. Würde man den Fisch töten, so würde der See das ganze Land ringsherum überschwemmen.

5. Bevor der Elbst erscheint, soll der See ohne äussere Veranlassung eines Windes oder dergleichen von sich aus in eine starke Bewegung geraten. Solche Erscheinungen geschehen zu unterschiedlichen Zeiten nach grössern und kürzern Zwischenräumen. Ein Schuhmacher behauptet, der Fisch zeige sich jedesmal nach Regenwetter, wenn es am Abend bessere.

6. Maria Ziegler von Bauen, ca 60 J. alt, behauptet (1914), sie habe als junges Meitli vom Wychel aus gesehen, wie allemal, wenn schlechtes Wetter im Anzuge war, etwas grosses, schwarzes im Seeli fast bis auf die Oberfläche des Seeleins kam. Eine zu Geissweg verheiratete Schächentalerin, die es auch gesehen, meint, das sei ein grosser, dichter Haufen junger Fische.

7. Eine siebenzigjährige Seelisbergerin behauptet: »Im Seeli sei es früher von Zeit zu Zeit oben aufgekommen wie ein grosser Ankenkübel und dann wieder verschwunden.« Andere noch lebende Personen sagen, es sei ein grosser Fisch oder ein Fisch wie eine grosse Sau gewesen.


1914. Frau Zgraggen-Aschwanden, 70 J. alt.[278]


8. Der alte Oberschwand Klausi hat mehr als einmal im Seeli einen Fisch gesehen, so gross wie eine Schaluppe, ja sogar zwei, die sich über das Wasser gegen einander erhoben. Das syg äs G'schwäder gsy! Ich habe es nicht glauben wollen, aber jetzt wohl. Mein Bruder Franzsepp hat ihn auch gesehen. Der Kopf war von der Grösse einer schweren Sau.


1917. Michael Truttmann.


9. Mein Vater hat das Gespenst weiss Gott wie oft gesehen und in allen möglichen und denkbaren Gestalten, als Kapuziner angekleidet, als Fisch, Sau, Heubürde usw., nur nicht in Gestalt eines Schafes oder einer Taube.


1918. Karl Zwyssig, 37 J. alt.


10. Ein Gespenst hauste auf Niederbauen. Pfarrer Furrer († 1883) hat es in das Seeli gebannt. Bald kommt es als Heubürde, bald als Fisch obenauf.


1921. Maria Zwyssig.


11. In der Tiefe des Seelisberger Sees haust ein Ungeheuer, den Bewohnern jener Gegend unter dem Namen Elbst bekannt. Es hat die Gestalt einer Schlange, einen schuppenbepanzerten Leib, Füsse mit Krallen gleich den Drachen; aber nur selten zeigt es sich in dieser seiner wahren Gestalt. Bald schwimmt es als moosbewachsener Stamm, bald als schmaler, grünender Inselfleck, von den Ufern losgerissen, bald auch als blütenvoller Zweig auf der Oberfläche des Sees. Wehe dem, der sich diesen trügerischen Lockbildern zu nähern wagt. Hinab ziehen den Getäuschten unrettbar die Krallen des Ungetüms. Aber auch das Eigentum der Sennen ist von ihm gefährdet; denn oftmals des Nachts wälzt es sich empor an das Ufer des Sees und zieht in scheusslicher Gestalt über die Weideplätze der Alpen hin. Am andern Morgen dann ist Vieh, das erwürgt, Spuren von scharfen Krallen tragend, zerstreut auf ihnen herumliegt, den Sennen Zeugnis seines schauerlichen Besuches.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 277-279.
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