915. Das verbannte Gespenst.

[280] ... Die Leute eines Hauses zu Geissweg sahen öfters »Einen« daherkommen, der wie ein Geistlicher mit Chorhemd, Stola, Birett angezogen war; er kam in das Haus hinein. Dann aber entstand jeweilen im Hause ein grausiges Getöse und Gepolter, dass sie's rein nicht mehr aushalten konnten und zum Hause hinausfliehen mussten. Nach und nach ergriffen sie die Flucht schon dann, wenn sie ihn kommen sahen. Endlich nahmen sie Zuflucht beim Pfarrer Furrer. Der sagte ihnen,[280] sie sollten das nächste Mal, wenn das Gepolter wieder losgehe, im Hause bleiben und ebenfalls poltern und rumpeln, wenn möglich noch ärger als das Gespenst, sollten dieses laut und lärmend verwünschen, verfluchen, beschimpfen, einen Heidenspektakel verführen. Wie sie beim folgenden Besuch nach dieser Anweisung handelten, da sauste und raste das Gespenst im ganzen Hause herum und endlich sss! zum Kamin hinaus. Aber jetzt kam es in den Gaden, präzis wie vorher in das Haus; da musste der Pfarrer Furrer selber kommen und benedizieren. Aber das gab Arbeit! Mehrere Stunden hatte er zu schaffen! Mit Schweiss bedeckt, drängte er es langsam bis mitten in den Stall, dann weiter bis zu hinterst und endlich fragte er, wohin er es verbannen solle. Sie sagten: »In das Seeli hinunter!« Und dorthin bannte er's. Und dort ist es heute noch. Von Zeit zu Zeit sieht man eine weisse Kuh in einem Schifflein liegend auf dem Seeli herumtreiben, dann dreimal im Kreise herumfahren und darauf zur Tiefe versinken. Meiner Schwester Kinder, die dort verheiratet ist, kamen einmal in hellem Laufe nach Hause und sagten, sie hätten auf dem Seeli ein Schifflein gesehen und darin eine weisse Kuh. Das sei mehreremal im Kreise herumgefahren und dann in die Tiefe verschliffen. Es sei doch schad um die schöne Kuh.


1925 Fr. Nell-Gisler, 50 J. alt.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 280-281.
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