Siebente Geschichte
Was einem Könige mit drei Schälken begegnet

[62] Ein andermal sprach der Graf Lucanor zu seinem Rate: Es kam neulich jemand zu mir, der sagte mir von einem großen Kunststück und gab zu[62] verstehen, daß dasselbe von vielem Nutzen für mich sein würde. Er verlangt aber und schärft mir dringend dabei ein, daß ich ihm unbedingt vertrauen, die Sache geheimhalten und keinem Menschen in der Welt davon etwas sagen soll, bis er es selbst für gut findet, denn wenn ich's irgend jemand entdeckte, stünde ich in großer Gefahr, Gut und Leben zu verlieren. Da ich nun weiß, daß Euch niemand etwas sagen kann, ohne daß Ihr wüßtet, ob er es aufrichtig oder betrüglich meint, so bitte ich Euch, mir Eure Meinung in der Sache mitzuteilen. Herr Graf, erwiderte Patronius, damit Ihr seht, wie Ihr meines Bedünkens Euch hierbei zu benehmen habt, sollt Ihr erfahren, was einmal einem König mit drei Betrügern widerfahren ist.

Und was war das? fragte der Graf.

Herr Graf, sagte Patronius, zu einem Könige kamen einmal drei Schelme, die gaben sich für große Meister im Weben aus, insbesondere aber verstunden sie einen Teppich zu wirken, der jedem sichtbar wäre, der wirklich der Sohn seines vermeintlichen Vaters sei, wogegen ihn keiner sehen könnte, der nicht der Sohn dessen sei, den er und die Leute für seinen Vater hielten. Das gefiel dem König sehr, denn durch diesen Teppich gedachte er in seinem Reiche die wahrhafte Abkunft eines jeden zu erkennen und auf diese Weise seine Finanzen wieder in Ordnung zu bringen, da bei den Mauren nur die wirklichen Söhne den Vater beerben. Er räumte[63] ihnen daher einen Palast zu ihrer Arbeit ein, sie aber baten, er möge sie in den Palast einschließen lassen, bis der Teppich fertig wäre, damit er sich überzeuge, daß sie ihn nicht hintergehen wollten, womit der König auch sehr wohl zufrieden war. Nachdem sie nun eine Menge Gold, Silber, Seide und andere Habseligkeiten empfangen hatten, um daraus den Teppich zu verfertigen, begaben sie sich in den Palast, man schloß sie dort ein, und sie stellten sogleich ihre Webstühle auf und taten, als webten sie den ganzen Tag. Nach Verlauf einiger Tage aber kam einer von ihnen mit der Anzeige zum König, daß der Teppich bereits angefangen sei und man in der Welt nichts Schöneres sehen könne. Dabei beschrieb er ihm, was für Figuren und Schnörkel sie darauf entworfen hätten, und wenn es ihm beliebte, möge er ihn in Augenschein nehmen, aber ja niemand sonst mitbringen. Der König, voller Eifer, das Ding zu versuchen, schickte einen seiner Kämmerlinge hin, ohne ihm jedoch den eigentlichen Zusammenhang zu entdecken. Da nun der Kämmerling die Meister sah und hörte, was sie sprachen, wagte er es nicht einzugestehen, daß er nichts sähe, sondern sagte bei der Rückkehr dem König, daß er den Teppich gesehen. Darauf schickte der König einen andern, und dieser tat desgleichen, und da alle, die er schickte, dasselbe berichteten, ging endlich der König selber hin. Als er in den Palast kam, fand er die Meister in voller Arbeit; seht da[64] diese Zieraten, rief der eine, und: das stellt dies und jenes vor, sagte der andere, und da die Figur, und hier das Kolorit – und alle blieben bei einem Strich und hatten doch keiner einen Strich gewoben! Und da nun der König sah, wie sie arbeiteten und alles erklärten und er doch nichts vom Teppich erblickte, während die andern ihn gesehen, wollte er in die Erde sinken, denn er glaubte, er sähe ihn bloß darum nicht, weil er nicht der Sohn des Königs wäre, den er für seinen Vater gehalten. Er befürchtete aber sein Reich zu verlieren, wenn er etwas davon sagte, und so begann er den Teppich außerordentlich zu loben, merkte sich aber genau, wie die Meister ihn beschrieben hatten, und als er nach Hause zu dem Hofgesinde kam, fing er Wunderdinge zu erzählen an, wie schön und prächtig der Teppich sei, im Herzen aber war er voller Besorgnis.

Zwei oder drei Tage darauf befahl er seinem Gerichtsvogte, auch den Teppich zu betrachten. Dieser ging hin, da woben die Meister wieder und sprachen wieder von den Figuren und Zieraten, und da doch der König den Teppich gesehen, er aber nichts sehen konnte, glaubte er ebenfalls, daß er nicht der Sohn seines angeblichen Vaters, und es mithin um seine Ehre geschehen sei, wenn es die Leute erführen; und hatte daher der König den Teppich gerühmt, so rühmte er ihn nun noch tausendmal mehr. Als er aber zum König zurückkam und sagte, daß er das Gewebe gesehen und[65] daß es das herrlichste und zierlichste Stück von der Welt sei, wurde der König immer tiefsinniger, denn wenn der Vogt, dachte er, alles gesehen, ich aber nicht, so ist kein Zweifel mehr, daß ich nicht der Sohn des Königs bin, wie ich geglaubt; und so stimmte er denn von neuem in das Lob von der Vortrefflichkeit des Teppichs und der Meister ein, die solche Arbeit vollbracht. Am folgenden Tage schickte er noch einen andern hohen Staatsbeamten in den Palast, dem ging es aber, wie es dem König und den andern ergangen, und also wurden durch jene Besorgnis König und Untertanen betrogen, denn niemand traute sich zu sagen, daß er den Teppich nicht sähe.

So ging die Geschichte fort, bis ein großes Fest eintrat, da sagten alle zum König: er möchte sich zu dem Feste mit jenem Gewebe schmücken; die Meister brachten es, in feine Leinwand eingeschlagen, so gleich herbei, taten, als wickelten sie's auseinander, und fragten, was sie daraus schneiden sollten? Der König bestimmte die Gewänder, die er haben wollte, sie aber stellten sich, als ob sie die Kleider zuschnitten, und als der Tag des Festes kam, brachten sie ihren Teppich geschnitten und genäht und paßten ihm die Gewänder so lange an, bis der König, der sich nicht erkühnte, zu sagen, daß er nichts sähe, vollkommen bekleidet zu sein vermeinte. Nachdem er aber nun so vortrefflich, wie Ihr Euch wohl denken könnt, gekleidet war, stieg er zu Pferde, um durch die[66] Stadt zu reiten, und es war sein Glück, daß es eben Sommer war. Da nun das Volk ihn so daherkommen sah und wußte, daß, wer jenes Gewebe nicht sähe, ein Bastard sei, so glaubte ein jeder, die andern sähen es, und hielt sich selber, da er nichts sah, für verloren und beschimpft, wenn er's eingestünde. So wurde also das Geheimnis bewahrt, bis endlich ein Neger, der des Königs Stallknecht war und nichts zu verlieren hatte, zum König trat und sagte: Herr, mir verschlägt es wenig, ob Ihr mich für den Sohn meines Vaters haltet oder nicht, und darum sage ich Euch geradeheraus und weiß es sicherlich, daß Ihr fasernackt einherziehet. Doch der König schlug ihn und sagte, er sähe seine Gewänder bloß deshalb nicht, weil er der Sohn eines andern sei, als den er für seinen Vater hielte. Nachdem aber der Neger einmal damit herausgeplatzt, sagte ein anderer, der es mit angehört, dasselbe, und so immer mehrere, bis der König und alle andere ihre Furcht, die Wahrheit zu bekennen, fahrenließen und den Betrug erkannten, den ihnen die Schelme gespielt hatten. Als man aber diese aufsuchte, waren sie nirgends zu finden, denn sie hatten sich mit dem, was sie durch ihre List vom Könige erbeutet, schon davongemacht.

Und wenn nun, Herr Graf Lucanor, jener Mann verlangt, daß keiner Eurer Vertrauten von seinem Geheimnis irgend etwas erfahren soll, so könnt Ihr sicherlich glauben, daß er Euch nur betrügen[67] will. Denn wahrlich, was hätte er, der Euch keinen Dank schuldig ist, für Grund, eifriger Euer Bestes zu suchen als alle diejenigen, die mit Euch leben und durch Wohltaten verpflichtet sind, auf Euren Vorteil und Dienst Bedacht zu nehmen?

Der Graf, der den Rat weise fand, handelte darnach und befand sich wohl dabei. Don Juan aber hielt das Beispiel für treffend und ließ es denn daher in dieses Buch schreiben, indem er folgenden Reim dazu machte:


Wer Heimlichkeit vor Freunden dir will raten,

Der scheut nur Zeugen seiner Schelmentaten.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 62-68.
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