Pferdekräfte wandern vom Motor zu den Antriebsrädern

[65] Der neue Motor mit seinen Nebenapparaten, dem Vergaser, der Zündung und der Kühlung, war zwar das Kernstück meines Fahrzeugs. Aber es sollte ja nicht nur der Motor laufen, sondern vor allem der Wagen. So ergab sich nach Schaffung der Kraftquelle erneut die Frage der Kraftübertragung. Leider läßt sich beim schnellaufenden Benzinmotor das Vorbild der Dampfmaschine nicht nachahmen, die beim[66] Anfahren die Kraft der Kolben über die Pleuelstangen direkt auf die Triebräder überträgt. Eine solche direkte Übertragung der Kraft war beim Benzinmotor vor allem wegen des Anfahrens und dann wegen des Unterschieds in der Drehzahl des Motors und der Triebräder ausgeschlossen. Der Benzinmotor braucht ja im Gegensatz zur Dampfmaschine fremde Hilfe zum Anlaufen. Durch Drehen des Schwungrades, das heute durch den elektrischen Anlasser in Bewegung gesetzt wird, muß zunächst das Benzinluftgemisch angesaugt, verdichtet und entzündet werden. Erst wenn auf diese Weise ein arbeitsleistender Hub des Motorkolbens begonnen hat, vermag der Motor mit eigener Kraft weiterzulaufen. Wenn er eine bestimmte Umdrehungsgeschwindigkeit erreicht hat, vermag er auch die gegenwirkende Kraft des Beharrungsvermögens des Wagens zu überwinden, also das Fahrzeug fortzubewegen.

Nun wird der Leser verstehen, was ich schon in meinen Zeichnungen vorsehen mußte und was unbedingt notwendig war, nämlich eine Einrichtung zum Abschalten des Motors vom Antriebsmechanismus des Wagens: die Kupplung. Dieser Leerlauf des Motors ist nicht nur zu Beginn der Fahrt, sondern auch unterwegs unbedingt notwendig. Jede Straßenecke, jedes entgegenkommende Fuhrwerk konnten Verhältnisse bringen, die das sofortige Abschalten der Antriebskraft, jedoch ohne den Motor abzustellen, notwendig machten. Wie war diese Frage der jederzeit nach Bedarf zu unterbrechenden Kraftübertragung zu lösen?

Die Lösung mußte zwei Anforderungen genügen, und zwar durfte die Verbindung des Motors mit dem Antriebsmechanismus erstens nicht starr, d.h. fest sein, und zweitens[67] konnte die Arbeit des Motors nicht direkt auf die Achse der Antriebsräder übertragen werden. Ich fügte deshalb zwischen die Kurbelwelle des Motors und die Antriebsachse zwei Vorgelegewellen ein, die durch Lederriemen miteinander in Verbindung standen. Auf der zweiten Vorgelegewelle saßen zwei kleine Kettenräder, welche die Antriebskraft mit Hilfe zweier Ketten auf die beiden wesentlich größeren, mit der Hinterachse fest verbundenen Kettenräder übertrugen. Durch diese Übersetzung war der erforderliche Drehzahlunterschied zwischen dem Motor und den Triebrädern erzielt.

Wie löste ich nun die Unteraufgabe, den Wagen stehen und trotzdem den Motor laufen zu lassen? Ich brachte ganz einfach auf der ersten Vorgelegewelle zwei Riemenscheiben an, wovon die eine fest mit der Welle verbunden war, während die andere sich lose drehen konnte. Wollte man beim Anhalten des Wagens den laufenden Motor abschalten, so schob man mit dem in Abbildung 14 sichtbaren Handhebel eine Ausrückstange horizontal zur anderen Seite, wodurch der Antriebsriemen des Motors von der festen Riemenscheibe der Vorgelegewelle auf die lose Riemenscheibe hinübergleiten konnte. Dann lief der Motor frei, ohne weiterhin die Laufräder anzutreiben.

Bei kurzen Fahrtunterbrechungen, wie z.B. bei Einkäufen, Besuchen usw. war man also nicht gezwungen, den Motor abzustellen. Das hatte für den Lenker des Fahrzeugs den Vorteil, daß er wieder weiterfahren konnte, ohne erst das lästige Anlassen des Motors vornehmen zu müssen. Dauerte die Fahrtunterbrechung längere Zeit oder war der Motor abgestellt, so waren für ein neues Anlassen des Motors alle Vorbedingungen schon gegeben, denn der Antriebsriemen[68] lag auf der losen Riemenscheibe. Der Motor konnte also bei stehendem Fahrzeug angedreht werden.

Mit dem in Abbildung 14 sichtbaren Handhebel hatte ich außerdem noch eine Bremse gekuppelt. Die feste Riemenscheibe auf der ersten Vorgelegewelle hatte ich mit einer zweiten Scheibe zusammengegossen, die durch Zusammenziehen eines herumgeschlungenen Stahlbandes gebremst werden konnte. Bewegte man den Handhebel über seine Mittelstellung hinaus nach rückwärts, so wurde dieses Stahlband und damit die Bremse angezogen. Wurde der Handhebel aus der Mittelstellung langsam nach vorne gedrückt, so schob sich der Antriebsriemen des Motors von der losen auf die feste Riemenscheibe hinüber und der Wagen fuhr an.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 65-69.
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