Zwergkatze (Felis undata)

[457] Südlich und östlich von den Wohngebieten des Manúl tritt eine andere Art der Gruppe auf: die Zwergkatze oder der Kueruck (Felis undata oder F. minuta, javanensis und sumatrana). Sie ähnelt unserer Hauskatze in der Gestalt, ist aber merklich kleiner, nämlich nur 65 bis 70 Centim. lang, wovon 20 bis 23 Centim. auf den Schwanz zu rechnen sind. Ihre Grundfärbung ist oberseits bräunlichfahlgrau, mehr oder weniger ins Graue spielend, unterseits weiß, die Fleckung oben dunkelrostbraun, unten braunschwarz. Ein bezeichnendes Merkmal bilden vier Längsstreifen, von denen zwei über den Augen, zwei zwischen ihnen zu beiden Seiten der Nase beginnen, und welche sich gleichlaufend über Stirn, Scheitel und Nacken ziehen, auf der Stirn bei manchen Stücken noch einen kurzen undeutlicheren fünften zwischen sich aufnehmend. Die Augenstreifen wenden sich nach den Schultern zu, die Mittelstreifen folgen der Rückenmitte und nehmen [457] in der Schultergegend, wo alle in Flecken sich auflösen, eine längs des Rückens mit ihnen in annähernd gleichem Abstande verlaufende, aus länglichen Tupfen bestehende Fleckenreihe zwischen sich auf. Hinter dem Ohre beginnt ein undeutlicher Streifen, welcher jene seitlich begrenzt, aber kaum bis zu den Schultern reicht. Vom Auge verläuft ein kürzerer Streifen nach dem Mittelhalse, von der mittleren Wange ein anderer nach dem Kinnladenwinkel, woselbst er mit einer Kehlbinde Vförmig zusammenfließt. Die Oberbrust zeigt drei bis vier mehr oder weniger geschlossene dunkle Querbinden; die Leibesseiten, Schultern und Schenkel sind mit rundlichen, kleinen Tupfflecken gezeichnet; der Schwanz ist oben ebenfalls getüpfelt, unten dagegen weißlich, an der Spitze dunkler; die Füße sehen gelbgrau, die Zehen bräunlichgrau aus. Zur ferneren Kennzeichnung möge dienen, daß der Nasenrücken und eine Schnurrbartbinde rostbraun, ein Streifen jederseits zwischen Auge und Nase und ein anderer schmälerer unter jedem Auge weißgelb, die Ohren außen braunschwarz, mit weißem Fleck gezeichnet, innen weißlich, die Augen endlich braun gefärbt sind.


Zwergkatze (Felis undata). 1/6 natürl. Größe.
Zwergkatze (Felis undata). 1/6 natürl. Größe.

Färbung und Zeichnung wechseln übrigens vielfach ab.

Durch Schrencks und Radde's Forschungen scheint festgestellt worden zu sein, daß der Verbreitungskreis der Zwergkatze viel weiter sich ausdehnt, als man bisher angenommen hatte. Man kannte unser Thier als Bewohner des festländischen Indien und der Sundainseln und vermuthete, daß es auch in Japan vorkomme; die genannten Forscher aber glauben, eine im Amurlande gefundene Art ebenfalls als gleichartig mit ihm ansehen und ebenso die chinesische Wildkatze als Zwergkatze bestimmen zu dürfen. Ueber das Freileben dieser ist bis jetzt noch wenig bekannt. Nach Junghuhn tritt sie in vielen Waldungen Javas sehr häufig auf, lebt auf den bemoosten Zweigen der Bäume, 20 bis 30 Meter über dem Boden, und steigt fast niemals aus dem Laubgewölbe zum Boden hernieder. »Sie übertrifft alle anderen Thiere (?) an Flüchtigkeit im Klettern und Springen, lebt hauptsächlich von Vögeln, welche sie in ihren heimatlichen Wäldern im Ueberflusse erhascht, und wird von den Javanen beim Fällen der Bäume oft lebendig gefangen.« Man sagt, daß sie zu den wildesten, blutgierigsten Arten ihres Geschlechtes zählt. Die Thatsache, daß man eine aus dem Amurlande stammende, als Kueruck angesprochene Wildkatze in einem Schafstalle, in welchem [458] sie bereits ein Lamm erwürgt hatte, überraschte und erschlug, spricht für jene Angabe, und auch Gefangene, welche ich in den Thiergärten von Amsterdam und Rotterdam sah, und andere, welche ich selbst pflegte, widersprachen dem nicht. Ich gab mir die größte Mühe, sie zu zähmen; doch scheiterten meine Versuche an der tollen Wuth dieser Katze. Blindwüthend fauchte und zischte sie, sobald man ihrem Gefängnisse sich nahte. Auch der Wärter, welcher seine Thiere sehr gut behandelte, hatte nicht mit ihr sich befreunden können. Er mußte bei dem Füttern sehr sorgfältig sich in Acht nehmen; denn der Kueruck hieb nach der Hand, anstatt nach dem Fleische. Sobald man ihn störte, pflegte er mit gekrümmtem Katzenbuckel in eine Ecke sich zurückzuziehen, sträubte den Balg und knurrte und tobte mit wüthenden Blicken, bis man ihn wieder verließ. Sein Lieblingsaufenthalt war ein starker Baumast in seinem Käfige. Auf ihm verweilte er, in sehr zusammengekauerter Stellung sitzend, oft stundenlang, ohne sich zu rühren. Seine Bosheit machte ihn Jedermann verhaßt, und sein Tod, welcher nach einem jähen Witterungswechsel erfolgte, verursachte uns wenig Bedauern; denn wir hatten schließlich allen Hoffnungen, das wüthende Thier zu zähmen, vollständig entsagt.

Es würde unrichtig sein, vorstehend gegebenen Beobachtungen mehr als beziehentlichen Werth zuzusprechen. Bei allen klugen Thieren, welche in unsere Käfige gelangen, kommt, bei Beurtheilung ihres Betragens, wesentlich in Betracht, ob sie im Alter oder in der Jugend in Gefangenschaft geriethen, und wie sie in der Jugend behandelt wurden. Eine Katze mag wilder oder bösartiger sein als die andere: unzähmbar aber ist keine einzige von ihnen. Dies beweist auch die Zwergkatze. Junghuhn bemerkt zwar ebenfalls, daß die von ihm aufgezogenen Jungen wohl mit einander spielten wie Hauskatzen, wenn sie allein und unbemerkt zu sein glaubten, gegen den Menschen jedoch scheu blieben und ihr wildes Wesen nicht ablegten; Bodinus hingegen besaß eine solche, welche keineswegs in der geschilderten Weise sich geberdete, vielmehr verhältnismäßig zahm und zutraulich war. Schmidt ist auf die von ihm gepflegten wenigstens nicht schlecht zu sprechen. »Die Thierchen«, sagt er, »welche wir geradenwegs von Java erhielten, klettern behende, gehen selbst auf dünnen Aesten sehr sicher, springen auch gut. Oft ziehen sie sich mit einem gewandten Satze auf einen an der Wand ihres Käfigs angebrachten Baumknorren zurück, wo sie dann stundenlang zu sitzen pflegen. Sie sind ruhig, aber weder zahm noch zutraulich, obwohl sie mit der Hand sich berühren lassen. Eine derartige Liebkosung scheint ihnen jedoch nicht eben angenehm zu sein, weil sie gewöhnlich ruhig weiter gehen. Zuweilen lassen sie einen Ton hören, welcher wie ein kurzes rauhes ›Mau‹ klingt. Sie verbreiten einen starken Bisamgeruch.«

Im Käfige geborene Zwergkatzen würden unzweifelhaft noch in weit höherem Grade zahm, die Nachkommen einiger Geschlechter möglicherweise bereits zu halben Hauskatzen werden. Die Stammutter unseres Hinz steht, wie aus dem Nachfolgenden hervorgehen wird, an Wildheit und Bösartigkeit nicht hinter der Zwergkatze zurück, und hat uns doch eines der liebenswürdigsten und vortrefflichsten Hausthiere geliefert.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CDLVII457-CDLIX459.
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