Wachtelhund

[632] Alle Seidenhunde sind leicht und schnell, aber nicht ausdauernd. Sie haben feinen Geruch und großen Verstand, ohne jedoch besonders gelehrig zu sein. Zur Jagd auf kleines Wild und namentlich auf Federwild werden einige und vor allen die Wachtelhunde vielfach benutzt; doch bedürfen sie einer sehr sorgfältigen Erziehung, weil ihre ursprüngliche Jagdbegierde so groß ist, daß sie häufig durch Dick und Dünn gehen und kaum durch Zurufe sich bändigen lassen. Selbst bei der besten Erziehung zittern sie vor Begierde bei Auffindung einer Spur und sind nicht im Stande, ihre Freude oder ihren Eifer zu verbergen, sondern kläffen und bellen fast fortwährend. Aus diesem Grunde werden sie häufiger in der Stube gehalten als zur Jagd benutzt. Die Engländer haben sich große Mühe mit ihrer Zucht gegeben und deshalb auch eine Menge von Spielarten erzielt, welche sie in Jagd- und Tändelhunde trennen. Unter den Wachtelhunden unterscheiden sie Springer, d.h. solche, welche lustig durch Dick und Dünn und namentlich durch niederes Dorngestrüpp hindurchjagen, und Schnepfenhunde, welche hauptsächlich zur Jagd auf Waldschnepfen verwendet werden. Letztere sind kleiner als die Springer und wiegen selten mehr als zwölf, sehr oft nur neun oder zehn Pfund. Außerordentlich lebendig und thätig, verrichten sie ihre Arbeit mit einem geradezu unerschöpflichen Grade von Selbstbewußtsein und Vergnügen. Dabei sind sie sehr muthig und behalten auch in anderen Klimaten ihre ursprüngliche Kühnheit bei, selbst in dem heißen Indien, welches die besten nordischen Hunde bald verdirbt. Kapitän Williamson erzählt, daß eines dieser kleinen tolldreisten Thiere einstmals sogar einem Tiger muthig entgegenging. Das gewaltige Raubthier schaute den kleinen Kläffer anfangs verwundert an, dann aber[632] stand es auf, von dem Gebelfer des zudringlichen Naseweis gestört, und flüchtete! Der Erzähler versichert, daß es einen unbeschreiblichen Anblick gewährt habe, die beiden in Größe und Kraft so verschiedenen Thiere hinter einander zu sehen, den großen, gewaltigen Tiger mit gehobenem Schweife voran und den muthigen kleinen Hund zankend und bellend hinterdrein. Und dies ist nicht der einzige Fall, welcher den Muth dieser niedlichen Thiere erprobte. Ein anderer Offizier von dem bengalischen Geschützwesen jagte in der Nähe eines Rohrdickichts nach Trappen und Pfauen, als plötzlich ein Tiger hervorbrach. Augenblicklich wurde derselbe von den Hündchen gestellt, und obgleich die muthigsten und kühnsten mit zwei Tatzenschlägen niedergelegt wurden, hielten die anderen doch so lange Stand, bis sich der Tiger zurückgezogen hatte.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCXXXII632-DCXXXIII633.
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