Quappe (Lota vulgaris)

[182] Der einzige Schellfisch, welcher im Süßwasser vorkommt, ist die weit verbreitete Quappe oder Trüsche, auch Rutte, Ruppe, Aalquappe, Aalraupe, Aalruppe, Aalputte, Quakaal, Trusche, Treusche, Treische, Traische, Dreische, Drische, Rufurken, Rufolgen, Rufolk genannt (Lota vulgaris, communis, fluviatilis, maculosa, inornata, compressa und brosmiana, Gadus lota, Molva lota und maculosa, Clarias fluviatilis), Vertreterin der Quappen (Lota) oder solcher Schellfische, deren Merkmale in dem langgestreckten, mit sehr kleinen Schuppen besetzten, kleinköpfigen Leibe, zwei Rückenflossen, von denen die zweite sehr lang, einer mäßig langen Afterflosse, abgerundeter oder zugespitzter Schwanzflosse, Bärteln am Kinne und den in einfacher Reihe in beiden Kieferrändern stehenden Zähnen liegen. Die Quappe ist auf Rücken, Seiten und Flossen lichter oder dunkler ölgrün gefärbt und mit schwarzbraunen, wolkigen Marmelflecken gezeichnet, auf Kehle und Bauchflossen weißlich. In der ersten Rückenflosse finden sich zwölf bis vierzehn, in der zweiten achtundsechzig bis vierundsiebzig, in der Brustflosse achtzehn bis zwanzig, in der Bauchflosse fünf bis sechs, in der Afterflosse sechsundsechzig bis siebzig, in der Schwanzflosse sechsunddreißig bis vierzig Strahlen. Die Länge kann bis sechzig Centimeter, das Gewicht bis acht Kilogramm erreichen; so große Stücke kommen jedoch nur in den tieferen Seen vor.

Wenige Fischarten dehnen ihren Verbreitungskreis so weit wie die Quappe aus. Sie bewohnt zwar ebenfalls das Meer, beispielsweise nicht selten die Nordsee, vorzugsweise aber doch Flüsse und Seen ganz Mitteleuropas, ebenso die süßen Gewässer Mittelasiens, soll selbst in Indien noch vorkommen. Zu ihrem Aufenthaltsorte wählt sie tiefere Gewässer, kleinere Flüsse nur, wenn sie diese Bedingung erfüllen, in den Seen vorzugsweise Stellen von dreißig bis vierzig Faden und mehr. Eine zweite Bedingung, welche sie an ihren Wohnsitz stellt, ist, daß das Wasser klar sei; deshalb tritt sie in Gebirgsgegenden in größerer Anzahl auf als im Flachlande. In Großbritannien gehört sie nicht zu den häufigen Fischen; im Oberrheine und Donaugebiete hingegen wird sie an geeigneten Orten überall gefunden. In der Schweiz kommt sie, nach Tschudi, noch in einer Höhe von über sieben-, in Tirol sogar noch in solcher von zwölfhundert Meter über dem Meere vor. Bei Tage hält sie sich unter Steinen und anderen im Wasser liegenden Gegenständen verborgen. »Hebt man«, schildert Schinz, »einen solchen Stein sachte empor, so bleibt sie noch eine Zeitlang ruhig, schießt dann aber mit der Schnelligkeit eines Blitzes weg und verbirgt sich unter einem anderen Steine oder im Schlamme. Die Alten halten sich in den Tiefen auf, die Jungen in ganz flachem Wasser nahe am Ufer. Des Nachts verläßt die Quappe ihren Aufenthaltsplatz [182] und schweift umher.« Sie ist einer der ärgsten Räuber der Gewässer und der Schrecken aller kleineren Fische, Junge der eigenen Art nicht ausgenommen. In Behältern fressen die gefangenen, wenn man ihnen nicht genug Nahrung gibt, einander selbst auf, und die stärkste von ihnen jede schwächere, welche sie irgendwie zu bezwingen im Stande ist.


Quappe (Lota vulgaris) und unerwachsener Wels (Silurus glanis). 1/4 natürl. Größe.
Quappe (Lota vulgaris) und unerwachsener Wels (Silurus glanis). 1/4 natürl. Größe.

»Eine Magd«, erzählt Schinz, »welche aus dem Behälter Quappen holen sollte, kehrte voll Bestürzung zurück und berichtete, es habe sich ein wahres Wunderthier eingefunden: eine Quappe ohne Kopf, aber mit zwei Schwänzen. Als man nachsah, entdeckte man, daß die eine Quappe die andere halb verschluckt hatte.« Die Jungen nähren sich hauptsächlich von Fischlaich und Würmern.

Als Laichzeit werden die Monate November bis März angegeben; wahrscheinlich also findet die Fortpflanzung, je nach der Oertlichkeit und Witterung, zu verschiedenen Jahreszeiten statt. So ungesellig diese Fische sonst sind, zur Laichzeit versammeln sie sich scharenweise, öfters bis gegen hundert Stück, und bilden dann, indem sie sich aalähnlich unter einander winden, einen Knäuel nach Art der sich paarenden Schlangen. Möglicherweise währt die Begattung unverhältnismäßig lange Zeit; es liegt wenigstens eine Beobachtung vor, welche hierauf hinzudeuten scheint. Steinbuch [183] erzählt, daß er einstmals in der Brinz bei Heidenheim mit dem Zweizacke nach einer Quappe gestochen, aber statt eines zwei Fische mit seinem Werkzeuge durchbohrt habe. »Beide von dem Zweizacke abgelöste Fische«, sagt er wörtlich, »hatte ich auf einen breiten, platten Stein gelegt, wo sie, Kopf an Kopf und Bauch an Bauch der Länge nach an einander liegend und gemeinschaftlich nur eine Masse bildend, träge und unbeweglich liegen blieben. Ein gemeinschaftliches häutiges, etwa einen Finger breites, ringförmiges Band umschloß beide Fische ungefähr in der Mitte ihrer Körperlänge so genau, daß keiner im Stande war, sich von dem anderen zu trennen, und diese Verbindung blieb selbst nach meiner harten Behandlung noch fest und unverändert zurück. Die Bauchflächen beider Fische waren durch dieses Band so platt gegen einander gedrückt, daß die weichen Körper zusammen fast eine cylindrische Gestalt hatten, und das ringförmige Band war durch die Fischkörper so stark vollgefüllt und dadurch so gespannt, daß es sichtbar in die Masse der weichen Körper einschnitt und der Durchmesser des gemeinschaftlich gebildeten Cylinders an dieser Stelle etwas kleiner war als über und unter dem Bande. Nachdem ich diese Erscheinung hinlänglich bewundert und durch Umwälzung des gemeinschaftlich gebildeten Körpers von allen Seiten betrachtet hatte, versuchte ich, mit einem hölzernen Stäbchen, welches ich neben mir auf der Erde liegend fand, dieses vereinigende Band über die Körper beider Fische rückwärts nach dem dünneren Schwanzende zu hinabzustreifen, um dadurch die beiden gefangenen in Freiheit zu setzen, und vorzüglich, um die Beschaffenheit dieses räthselhaften Bandes genauer zu untersuchen. Ich bemerkte bei diesem Versuche sogleich, daß das sowohl nach Beschaffenheit der Farbe wie nach seiner Weichheit, Schlüpferigkeit usw. mit der Oberfläche beider Fische genau übereinstimmende Band mit keinem der beiden eingeschlossenen Fischkörper verwachsen zu sein schien, und daß die beabsichtigte Lösung desselben, bei der Weichheit der Fischkörper und der Ausdehnbarkeit des Bandes selbst, nicht mit zu großen Schwierigkeiten verbunden sein würde. Wirklich gelang es mir auch, nachdem ich mit dem Stäbchen und ein paar Fingern der einen und der anderen Hand zugleich an dem ganzen Umfange des vereinigenden Bandes und dem gemeinschaftlichen Körper der Fische vorsichtig gearbeitet hatte, dasselbe zu verschieben und es nach Wunsch rückwärts hinabzustreifen. Indem durch die Lösung des Bandes die Verbindung beider Fischkörper aufgehoben worden, fielen beide selbst von einander, so daß ich nun der beiden sich vorhin deckenden Bauchflächen derselben ansichtig wurde. Ich hatte also jetzt zwei abgesonderte Fische und jenes häutige, ringförmige Band als eine dreifache Beute vor mir liegen. Indem sich die beiden Bauchflächen dieser Fische von einander trennten, fiel mir der Umstand auf, daß ihre beiderseitigen Geschlechtsöffnungen eine solche gegenseitige Lage zeigten, daß die Oeffnung des einen Fisches während des verbundenen Zustandes auf die des anderen mußte gepaßt haben. Das abgestreifte Band hatte da, wo es zuvor an den Seitenflächen und dem Rücken eines jeden Fisches anlag, noch die vertieften Spuren seiner vorherigen anhalten den Pressung zurückgelassen, und es konnte mir nun der Gedanke nicht entgehen, daß vielleicht der Nutzen dieses merkwürdigen Bandes kein anderer sei, als jene beiden Oeffnungen der Fische genau zu vereinigen und auf einander zu drücken. Das Band war offenbar eine ganze, unzerrissene Haut, durch kein sinnliches Merkmal, die größere Dicke ausgenommen, von der Haut dieser Fische selbst verschieden, mit glatten, abgerundeten Rändern, glatter äußerer und innerer Oberfläche. Die äußere Oberfläche desselben war genau von eben dem schlüpferig machenden Schleime überzogen wie die Haut der Fische selbst, die innere Oberfläche, welche zuvor mit der Haut der Fische in Berührung, war weniger gefärbt, aschgrau und fast durchscheinend, so daß ich durch sie die dunkle Farbe der äußeren Fläche zu sehen glaubte. Die Breite des Bandes mochte ungefähr zwei Centimeter betragen, schien übrigens, wie die Dicke, in dem ganzen Umfange überall gleich groß zu sein. Nirgends war eine Naht oder eine Spur von Vereinigung zweier Enden zu sehen, welches unfehlbar hätte der Fall sein müssen, wenn der Zirkel, den das Band bildete, durch Vereinigung beider Enden eines Längenbandes wäre zusammengesetzt worden.« Dieser Mittheilung fügt Steinbuch, wie Siebold noch angibt, hinzu, daß aus der Geschlechtsöffnung [184] beider Fische nach ihrer Trennung ein milchiger Saft aus floß, er daher vermuthete, daß die Fische sich bei der Begattung mit den Bauchflossen innig berührt haben und sich durch Hautausschwitzungen ein gerinnbarer Stoff zu jenem gürtelförmigen Bande gestaltet. Die Annahme verdient geprüft zu werden, weil auch bei anderen Fischen Hautausschwitzungen während der Brunstzeit beobachtet worden sind.

Obgleich man beim Roggener gegen einhundertunddreißigtausend Eier gezählt hat, ist doch die Vermehrung der Quappe nicht sehr bedeutend, weil von den ausgeschlüpften Jungen der größte Theil von den Alten und anderen Raubfischen aufgefressen wird. Das Wachsthum scheint ein sehr langsames zu sein, die Zeugungsfähigkeit erst mit dem vierten Jahre einzutreten.

Der Fang wird mit dem meisten Gewinne zur Laichzeit betrieben, und zwar mit dem Garne und der Grundschnur oder mit Reusen. Zum Ködern benutzt man kleine Fische und Krebse. Ueber die Güte des Fleisches ist man sehr verschiedener Ansicht. In unserem Vaterlande rühmt man es hier und verschmäht es dort, bezahlt demgemäß das Kilogramm mit vierzig Pfennigen bis vier Mark; in England wird es durchschnittlich nicht sonderlich geschätzt, in der Schweiz noch heutigen Tages dem der meisten übrigen Süßwasserfische vorgezogen. »Die so auß den fliessenden Wassern vnd flüssen gefangen werden«, sagt der alte Geßner, »haben ein lecker, weisser, gesünder Fleisch. Ir Leber ist ein edler Schleck, also daß zu zeiten ein Gräffin Haab vnd Gut, Rent vnd Güldt, Zinß vnd Zehenden vmb solche Lebern verthan vnd verschlecket hat. Bey vns lobt man solcher Fisch Lebern vor dem Christtag, das ist vor dem Leych, dann nach dem Leych werden sie arg geachtet, als welchen etlichen jhre Leber voller Pfinnen wachsen, welches den Fischen ein anerborne Krankheit sein soll. Die Leber pflegt man in einem gläsinen Gefäß, zu einem warmen Ofen, oder Sonnen zu hencken, welches ein schön gelb öl gibt, gantz nützlich wider die finsterkeit, flecken vnd fell der Augen. Das Mäglin der Trüschen, soll ein herrliche krafft haben, wider alle Kranckheiten der Mutter der Weiber, insonderheit sol er im Tranck gegeben die Nachgeburt gewaltiglich treiben, auch das Bauchgrimmen hinnemmen.« An diese Wunderkraft glaubt selbstverständlich heutigen Tages kein Mensch mehr; aber noch gegenwärtig wird das Fett der Leber, ein vortrefflicher Leberthran, gewonnen und als Arzenei gebraucht. Eine höchst eigenthümliche Verwendung einzelner Theile der Quappe lernte Erman in Sibirien kennen. Bei den Burjäten ersetzt die Haut der Quappe unser Fensterglas, und bei den kawaschischen Jurten sind Männer und Weiber in Röcke, Hosen und Stiefeln aus solcher Haut gekleidet.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 182-185.
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