Zweischwänzige Uferfliege (Perla bicaudata)

[506] Am zweckmäßigsten stehen diejenigen Kaukerfe an der Spitze, welche von den meisten Schriftstellern zur vorigen Ordnung gezogen werden, sich durch ihre vier gleichartigen Flügel als Geschlechtsthiere und durch ihr Wasserleben als Larven auszeichnen.


Zweischwänzige Uferfliege (Perla bicaudata) nebst erwachsener Larve. Natürliche Größe.
Zweischwänzige Uferfliege (Perla bicaudata) nebst erwachsener Larve. Natürliche Größe.

Als Vertreter der Afterfrühlingsfliegen (Perlariae oder Semblodea) sei zunächst die zweischwänzige Uferfliege (Perla bicaudata) genannt. Sie hat einen braungelben, zweimal dunkelgefleckten, durch die Mitte dunkelgestriemten und ebenso eingefaßten Vorderrücken, einen rothgelben Kopf und am übrigen Körper eine mehr braungelbe Färbung. An den gelblichen Beinen sind die Spitzen der Schenkel und Wurzeln der Schienen dunkler. Bei dem Männchen biegt sich die gespaltene, flache neunte Rückenplatte des Hinterleibes am inneren und hinteren Rande zu schmalen Leisten auf, bei dem Weibchen theilt sie sich dagegen durch seichte Grübchen wie in drei Läppchen, während die achte Bauchplatte bei demselben Geschlechte gerade abgestutzt ist. Hier beträgt die Körperlänge fast 22, die des Männchens reichlich 15 Millimeter, dem entsprechend die Maße eines Vorderflügels 28,25 und 22 Millimeter. Ueberdies muß noch bemerkt werden, daß sich als Gattungscharakter zwischen dem Radius und seinem Aste im letzten Drittel des Vorderflügels nur eine Querader, zwischen dem Radius und der Randader, außerhalb der Einmündung der Unterrandader, dagegen mindestens drei Querrippen vorfinden, daß ferner die Kinnbacken sehr klein und häutig, die Endglieder der Kiefertaster verdünnt sind und das dritte Fußglied die Gesammtlänge der beiden vorhergehenden übertrifft. Unter Berücksichtigung aller dieser Merkmale wird man die genannte Art von vielen sehr ähnlichen unterscheiden können, welche neuerdings unter zahlreiche Gattungen vertheilt worden sind. Die zwei Schwanzborsten, welche den Beinamen veranlaßten und unter der Bezeichnung »Raife« den meisten Ordnungsgenossen zukommen, finden sich bei sehr vielen Afterfrühlingsfliegen wieder, ebenso die allgemeine Körpergestalt, von welcher die fast gleiche Entwickelung aller drei Brustkastenringe zu dem bei geflügelten Kerfen nur selten zu beobachtenden Familiencharakter gehört. Schon hier beginnt der sich später häufig wiederholende Umstand, daß bei bestimmten Arten regelrecht oder bei Einzelwesen ausnahmsweise die Flügel verkümmern. In dieser Familie trifft diese Kürzung die Männchen gewisser Arten.

Mit den Köcherjungfern und Wasserflorfliegen zu gleicher Zeit und an gleichen Orten sitzen die Kerfe mit platt auf den Rücken gelegten Flügeln, oder sie laufen eine Strecke, wenn sie gestört [506] werden; die Flugbewegungen halten nur kurze Zeit an und werden erst des Abends lebhafter. Die Weibchen kleben die Eier an eine Vertiefung ihres Bauches und lassen sie klümpchenweise in das Wasser fallen, wenn sie darüber hinfliegen. Die ihnen entschlüpfenden Larven haben, wie dies im Begriffe der unvollkommenen Verwandlung liegt, große Aehnlichkeit mit der ausgebildeten Fliege, nur keine Flügel und lange Wimperhaare an Schenkeln und Schienen, um besser rudern zu können. Bei den meisten erkennt man unten auf der Grenze der Brust die Kiemenbüschel, durch welche sie athmen. Sie halten sich vorzugsweise in fließenden Gewässern auf, am liebsten in reißenden Gebirgsbächen unter Steinen oder an Holzwerk und nähren sich vom Raube, weshalb ihre Kinnbacken jetzt manchmal härter und kräftiger entwickelt sind als nach der Verwandlung. Zur Ausbildung bedürfen sie eines Jahres, wenn nicht noch längerer Zeit, bekommen allmählich Flügelstumpfe und kriechen zuletzt an einem Pflanzenstengel, an einem Steine aus dem Wasser, um im Drange nach Freiheit den unvermeidlichen Riß im Nacken zu veranlassen und als entschleiertes Bild ein kurzes Dasein zu fristen. Pictet bearbeitete 1841 diese Familie im besonderen und widmete den früheren Ständen vorzügliche Aufmerksamkeit. Er beschreibt darin hundert ihm bekannt gewordene Arten, gedenkt noch weiterer achtundzwanzig, welche von anderen Schriftstellern benannt worden, ihm aber unbekannt geblieben sind. Von jenen verbreiten sich siebenundzwanzig über den größten Theil Europas.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 506-507.
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