Warzenbeißer, großes braunes Heupferdchen (Decticus verrucivorus)

[558] Merklich zahlreicher sind die auf viele Gattungen vertheilten Arten, bei denen die Einlenkungsstelle der Fühler dieselbe bleibt, die Gehörgänge an den Vorderschienen aber als schmale Spalten erscheinen. Hier sei nur zweier, und zwar der gemeinsten europäischen Gattungen gedacht. Die eine, Decticus, erkennt man an dem stumpfen, das erste Fühlerglied nicht überragenden Gipfel des Kopfes, an den langen, beweglichen Dornen, welche die Innenseite der Vorderschienen bewehren, und vor allem an den zwei freien Haftlappen, mit welchen das erste Glied der Hinterfüße versehen ist. Die Arten haben alle eine grünlich- oder graubraune Farbe, einige verkümmerte Flügel. Die größte von allen, der 26 bis 30 Millimeter messende Warzenbeißer oder das große braune Heupferdchen (Decticus verrucivorus), ist über das nördliche und mittlere Europa verbreitet und findet sich auf Wiesen und Kleefeldern. Vor einigen Jahren traf ich es hier häufig in den angebauten Cichorien; an Buschwerk hält es sich, so viel mir bekannt, nicht auf. Die vier Kanten der Hinterschienen sind an der unteren Hälfte mit kräftigen Dornen bewehrt, die vordersten mit drei Reihen beweglicher Stacheln und die zugehörigen Hüften mit einem einzelnen Dorn. Scheitel und Stirn trennt eine Querlinie in der Höhe der Fühlerwurzel; den Vorderrücken durchzieht eine Längsleiste. Außer den beiden Raifen überragt eine mäßig aufgebogene Legscheide die weibliche Hinterleibsspitze, zwei Griffel die männliche. Die Körperfarbe ändert mehrfach ab, helleres oder dunkleres Grün herrscht vor, zeigt bisweilen einen röthlichen, häufiger einen braunen Schimmer und geht stellenweise in braune Flecken über, besonders auch auf den langen Flügeldecken in gewürfelter Vertheilung, während die Unterseite, besonders der Bauch, heller, mehr gelblich bleibt. Durchschnittlich in der zweiten Hälfte des April schlüpfen die Larven aus den Eiern; in Zwischenräumen von ungefähr vier Wochen häuten sie sich, so daß sie mit der ersten Hälfte des Juni zum zweitenmale das Kleid gewechselt haben. Jetzt kann man die Geschlechter äußerlich an der kurzen Legröhre des Weibchens unterscheiden. In der ersten Hälfte des Juli erscheinen sie nach der dritten Häutung mit den Flügelscheiden und anfangs August durch die vollkommene Ausbildung dieser als vollendete braune Heupferdchen. Alsbald beginnen die Männchen ihren Gesang. Es naht sich das Weibchen und zeigt ihm seine Gegenwart durch Hin- und Herschlagen mit den langen Fühlern an. Das Männchen verstummt, legt die Fühler nach hinten und untersucht, ob man sich ihm in freundlicher oder feindlicher Absicht nähert. Ueberzeugt es sich von ersterem, so bewillkommnet es die Angekommene mit sanften Zwitschertönen. Wenige Tage später sucht das Weibchen eine lockere Stelle, am liebsten im Grase, bohrt seinen Säbel hinein und läßt sechs bis acht weißliche Eier durch denselben gleiten, welche Arbeit so und so oft wiederholt wird; denn jeder der beiden weiblichen Eierstöcke enthält ungefähr funfzig Eier. Fängt man eine erwachsene Heuschrecke, so beißt sie heftig, daß die Haut des Gebissenen mit Blut unterläuft und Kopf sammt Schlund von ihr hängen bleiben, wenn man sie schnell abreißt. Beim Beißen läßt sie einen braunen Saft ausfließen. Ob dieser wirksam beim Verschwinden der Warzen ist, in welche die Heuschrecke gebissen hat, und ob überhaupt eine solche Wirkung stattfindet, lasse ich aus Mangel an jeglicher Erfahrung dahingestellt sein.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 558.
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